Platon
antiker griechischer Philosoph / aus Wikipedia, der freien encyclopedia
Liebe Wikiwand-AI, fassen wir uns kurz, indem wir einfach diese Schlüsselfragen beantworten:
Können Sie die wichtigsten Fakten und Statistiken dazu auflisten Platon?
Fass diesen Artikel für einen 10-Jährigen zusammen
Platon (altgriechisch Πλάτων Plátōn, latinisiert Plato; * 428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina; † 348/347 v. Chr. in Athen) war ein antiker griechischer Philosoph.
Er war Schüler des Sokrates, dessen Denken und Methode er in vielen seiner Werke schilderte. Die Vielseitigkeit seiner Begabungen und die Originalität seiner wegweisenden Leistungen als Denker und Schriftsteller machten Platon zu einer der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Geistesgeschichte. In der Metaphysik und Erkenntnistheorie, in der Ethik, Anthropologie, Staatstheorie, Kosmologie, Kunsttheorie und Sprachphilosophie setzte er Maßstäbe auch für diejenigen, die ihm – wie sein bedeutendster Schüler Aristoteles – in zentralen Fragen widersprachen.
Im literarischen Dialog, der den Verlauf einer gemeinsamen Untersuchung nachvollziehen lässt, sah er die allein angemessene Form der schriftlichen Darbietung philosophischen Bemühens um Wahrheit. Aus dieser Überzeugung verhalf er der noch jungen Literaturgattung des Dialogs zum Durchbruch und schuf damit eine Alternative zur Lehrschrift und zur Rhetorik als bekannten Darstellungs- und Überzeugungsmitteln. Dabei bezog er dichterische und mythische Motive sowie handwerkliche Zusammenhänge ein, um seine Gedankengänge auf spielerische, anschauliche Weise zu vermitteln. Zugleich wich er mit dieser Art der Darbietung seiner Auffassungen dogmatischen Festlegungen aus und ließ viele Fragen, die sich daraus ergaben, offen bzw. überließ deren Klärung den Lesern, die er zu eigenen Anstrengungen anregen wollte.
Ein Kernthema ist für Platon die Frage, wie unzweifelhaft gesichertes Wissen erlangt und von bloßen Meinungen unterschieden werden kann. In den frühen Dialogen geht es ihm vor allem darum, anhand der sokratischen Methode aufzuzeigen, warum herkömmliche und gängige Vorstellungen über das Erstrebenswerte und das richtige Handeln unzulänglich oder unbrauchbar seien, wobei dem Leser ermöglicht werden soll, den Schritt vom vermeintlichen Wissen zum eingestandenen Nichtwissen nachzuvollziehen. In den Schriften seiner mittleren Schaffensperiode versucht er, mit seiner Ideenlehre eine zuverlässige Basis für echtes Wissen zu schaffen. Solches Wissen kann sich nach seiner Überzeugung nicht auf die stets wandelbaren Objekte der Sinneserfahrung beziehen, sondern nur auf unkörperliche, unveränderliche und ewige Gegebenheiten einer rein geistigen, der Sinneswahrnehmung unzugänglichen Welt, die „Ideen“, in denen er die Ur- und Vorbilder der Sinnendinge sieht. Der Seele, deren Unsterblichkeit er plausibel machen will, schreibt er Teilhabe an der Ideenwelt und damit einen Zugang zur dort existierenden absoluten Wahrheit zu. Wer sich durch philosophische Bemühungen dieser Wahrheit zuwendet und ein darauf ausgerichtetes Bildungsprogramm absolviert, kann seine wahre Bestimmung erkennen und damit Orientierung in zentralen Lebensfragen finden. Die Aufgabe des Staates sieht Platon darin, den Bürgern dafür optimale Voraussetzungen zu schaffen und Gerechtigkeit umzusetzen. Daher setzt er sich intensiv mit der Frage auseinander, wie die Verfassung eines Idealstaates diesem Ziel am besten dienen kann. In späteren Werken tritt die Ideenlehre teils in den Hintergrund, teils werden Probleme, die sich aus ihr ergeben, kritisch beleuchtet; im Bereich der Naturphilosophie und Kosmologie jedoch, dem sich Platon im Alter zuwendet, weist er den Ideen bei seiner Erklärung des Kosmos eine maßgebliche Rolle zu.
Platon gründete die Platonische Akademie, die älteste institutionelle Philosophenschule Griechenlands, von der aus sich der Platonismus über die antike Welt verbreitete. Das geistige Erbe Platons beeinflusste zahlreiche jüdische, christliche und islamische Philosophen auf vielfältige Weise. Die Lehre seines Schülers Aristoteles, der Aristotelismus, entstand aus der kritischen Auseinandersetzung mit dem Platonismus. In Spätantike, Mittelalter und Früher Neuzeit wurde der Aristotelismus zum Ausgangspunkt für Konzepte, die teils mit platonischen konkurrierten, teils mit ihnen verschmolzen wurden.
In der Moderne verwerteten insbesondere Denker der „Marburger Schule“ des Neukantianismus (Hermann Cohen, Paul Natorp) platonisches Gedankengut. Karl Popper griff Platons politische Philosophie an; sein Vorwurf, es handle sich um eine Form von Totalitarismus, löste im 20. Jahrhundert eine lang anhaltende Kontroverse aus.
Da die Platoniker Platon überschwänglich verehrten, wurden über sein Leben zahlreiche teils phantastische Anekdoten und Legenden verbreitet, die oft seiner Verherrlichung dienten.[2] Es wurde sogar behauptet, er sei ein Sohn des Gottes Apollon, sein leiblicher Vater sei nur sein Stiefvater gewesen.[3] Daneben gab es aber auch Geschichten, die seine Verspottung und Diffamierung bezweckten.[4] Daher ist die historische Wahrheit schwer zu ermitteln. Eine Hauptquelle ist Platons Siebter Brief, der heute überwiegend für echt gehalten wird und auch im Fall seiner Unechtheit als wertvolle zeitgenössische Quelle anzusehen wäre.
Herkunft
Platon stammte aus einer vornehmen, wohlhabenden Familie Athens. Sein Vater Ariston betrachtete sich als Nachkomme des Kodros, eines mythischen Königs von Athen; jedenfalls war ein Vorfahre Aristons, Aristokles, schon 605/604 v. Chr. Archon gewesen, hatte also das höchste Staatsamt bekleidet. Unter den Ahnen von Platons Mutter Periktione war ein Freund und Verwandter des legendären athenischen Gesetzgebers Solon.[6] Der Philosoph hatte zwei ältere Brüder, Adeimantos und Glaukon, die in der Politeia als Dialogteilnehmer auftreten, und eine ältere Schwester, Potone, deren Sohn Speusippos später Platons Nachfolger als Leiter der Akademie (Scholarch) wurde. Ariston verstarb schon früh; Periktione heiratete um 423 v. Chr. ihren Onkel mütterlicherseits Pyrilampes, einen angesehenen Athener, der zu Perikles’ Zeit als Gesandter tätig gewesen war. Pyrilampes hatte aus einer früheren Ehe einen Sohn, Demos, der Platons Stiefbruder wurde. Aus der Ehe zwischen Periktione und Pyrilampes ging Antiphon, ein jüngerer Halbbruder Platons, hervor.
Während Platons Stiefvater demokratisch gesinnt war, gehörten zur Familie seiner Mutter Periktione mehrere prominente Politiker mit oligarchischer Haltung: Ihr Onkel Kallaischros gehörte 411 v. Chr. dem durch Putsch kurzzeitig an die Macht gekommenen Rat der Vierhundert an, ihr Vetter Kritias war Mitglied des oligarchischen Rats der Dreißig („Dreißig Tyrannen“), der 404/403 v. Chr. Athen regierte. Unter dessen Herrschaft wurde auch ihr Bruder Charmides in ein oligarchisches Gremium berufen und fiel im Kampf gegen die Demokraten.[7]
Kindheit und Jugend
Laut der Chronik des Apollodoros wurde Platon 428 oder 427 v. Chr. geboren,[8] zur Zeit der Attischen Seuche, nach der antiken Tradition am 7. Tag des Monats Thargelion (Mai/Juni), dem mythischen Geburtstag des Gottes Apollon. An diesem Tag feierten später – noch im 3. Jahrhundert n. Chr. – die Platoniker sein Geburtstagsfest.[9] Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. war eine Legende verbreitet, wonach „Platon“ ursprünglich nur ein Beiname war, den er in Anlehnung an das griechische Wort πλατύς (platýs „breit“) erhielt, womit angeblich auf die Breite seiner Stirn oder seiner Brust angespielt wurde. Diese Behauptung wird von der Forschung als unglaubwürdig betrachtet.[10] Auch eine Überlieferung, wonach Platon ursprünglich den Namen seines Großvaters Aristokles trug, ist eine im Rahmen dieser Legendenbildung entstandene Erfindung.[11] Seine Kindheit und Jugend verbrachte Platon in der Zeit des Peloponnesischen Krieges (431–404 v. Chr.), der mit der Kapitulation seiner Heimatstadt endete. Als Sohn aus vornehmer Familie genoss er eine sorgfältige Erziehung. Es wird berichtet, dass er Unterricht in Sport, Grammatik, Malerei, Musik und Dichtung erhielt, seine poetischen Jugendwerke jedoch später verbrannte; diese Behauptungen wurden allerdings möglicherweise nachträglich aus seinen Dialogen abgeleitet.[12] In seiner Jugend nahm Platon an den Isthmischen Spielen teil und war ein preisgekrönter Ringer.[13]
In die Philosophie führte ihn Kratylos ein,[14] ein Anhänger Heraklits, nach dem Platon später seinen Dialog Kratylos benannte. Als Zwanzigjähriger begegnete er Sokrates, dem er sich als Schüler anschloss. Bis zu Sokrates’ Tod rund ein Jahrzehnt später blieb er bei ihm. Als Lehrer und als Vorbild prägte Sokrates die geistige Entwicklung Platons.
Abwendung von der Politik und erste Reisen
Als nach dem Kriegsende 404 in Athen die von den siegreichen Spartanern gestützte Terrorherrschaft der dreißig Oligarchen begann, zu denen Verwandte Platons gehörten, wurde er zur Beteiligung am politischen Leben eingeladen, lehnte jedoch ab, da er dieses Regime als verbrecherisch betrachtete.[15] Die politischen Verhältnisse nach der Wiederherstellung der Attischen Demokratie im Jahre 403 missfielen ihm aber auch. Ein Wendepunkt in Platons Leben war die Hinrichtung des Sokrates im Jahre 399, die ihn tief erschütterte. Das staatliche Vorgehen gegen seinen Lehrer wertete er als einen Ausdruck moralischer Verkommenheit und als Beweis für einen prinzipiellen Mangel im politischen System. Er sah nun in Athen keinerlei Möglichkeit einer philosophisch verantwortbaren Teilnahme am politischen Leben mehr, entwickelte sich zu einem scharfen Zeitkritiker und forderte einen von Philosophen regierten Staat.[16]
Nach dem Tod des Sokrates begab sich Platon mit anderen Sokratikern für kurze Zeit nach Megara zu Euklid von Megara, der ebenfalls ein Schüler des Sokrates war. In seinen Dialogen Phaidon und Theaitetos ließ er später diesen Euklid als Sokrates’ Gesprächspartner auftreten. In der Folgezeit soll er eine große Bildungsreise unternommen haben, die ihn laut verschiedenen Quellen, deren Angaben zur Route allerdings widersprüchlich sind, nach Kyrene zu dem Mathematiker Theodoros von Kyrene, nach Ägypten und nach Süditalien führte. Die Einzelheiten und die Datierung sind in der Forschung umstritten; insbesondere wird bezweifelt, dass Platon jemals in Ägypten war. Einiges spricht dafür, dass der Aufenthalt in Ägypten erfunden wurde, um Platon mit ägyptischer Weisheitstradition in Verbindung zu bringen. Unklar ist, ob die Bildungsreise mit der ersten Sizilienreise verbunden war oder schon einige Jahre vorher stattfand.[17]
Erste Sizilienreise
Um 388 unternahm Platon seine erste Sizilienreise.[18] Zunächst fuhr er nach Unteritalien, wo im 5. Jahrhundert die Philosophengemeinschaft der Pythagoreer großen Einfluss erlangt hatte, dann aber in blutigen Unruhen stark geschwächt worden war. In Tarent traf Platon den damals prominentesten und politisch erfolgreichsten Pythagoreer, den Staatsmann und Mathematiker Archytas von Tarent, der sein Gastfreund wurde. Von Archytas erhoffte er sich vor allem mathematische Erkenntnisse.[19] Zu den Philosophen, denen er in Unteritalien begegnete, soll auch Timaios von Lokroi gehört haben, den er später zum Hauptgesprächspartner seines Dialogs Timaios machte; die Historizität dieser Gestalt wird allerdings angezweifelt.[20] Danach reiste Platon nach Syrakus, wo damals der Tyrann Dionysios I. herrschte.
Die Berichte über diesen ersten Aufenthalt in Syrakus sind großenteils legendenhaft und umstritten. Da die Konfrontation eines aufrechten Philosophen mit einem tyrannischen Herrscher in der Antike ein beliebtes literarisches Motiv war, betrachtet die Forschung die überlieferten Einzelheiten von Platons Begegnung mit dem Tyrannen und seinem Bruch mit ihm skeptisch.[21] Jedenfalls hatte Platon mit Dionysios Kontakt, und der Ausgang war für den Philosophen ungünstig; der Freimut Platons soll den Herrscher erzürnt haben.[22] Enge Freundschaft schloss Platon jedoch mit Dionysios’ Schwager und Schwiegersohn Dion, der ein eifriger Platoniker wurde. Das Luxusleben in der Magna Graecia, den griechischen Städten auf italischem Boden, missfiel Platon.[23]
Laut Quellenberichten geriet Platon am Ende der Sizilienreise in Gefangenschaft und wurde als Sklave verkauft, kam aber bald wieder frei und konnte nach Athen zurückkehren. Ein Spartaner namens Pollis soll ihn im Auftrag des Dionysios auf dem Sklavenmarkt von Aigina verkauft haben, worauf der Käufer, ein gewisser Annikeris aus Kyrene, dem Philosophen aus Großmut und Wertschätzung die Freiheit schenkte. Sehr wahrscheinlich war aber Dionysios an der Episode nicht beteiligt; vielmehr wurde das Schiff, auf dem der Philosoph von Sizilien heimkehrte, von den Spartanern oder den Ägineten gekapert, die damals mit Athen im Krieg lagen.[24] Neue Lesungen in einem Papyrus, Philodems Index Academicorum, legen nahe, dass ein womöglich historischer Verkauf in die Sklaverei auf Ägina gegen Ende des Peloponnesischen Krieges (405/04) erst später auf Dionysios I. und die erste Sizilienreise übertragen wurde.[25]
Schulgründung und Lehrtätigkeit
Nach seiner Rückkehr kaufte Platon um 387 v. Chr. bei dem Akadḗmeia (Άκαδήμεια) genannten Hain des attischen Heros Akademos (Hekademos) im Nordwesten von Athen ein Grundstück, wo er philosophisch-wissenschaftlichen Unterricht zu erteilen begann und seine Schüler zu Forschungen anregte. Dabei wurde er von Gastphilosophen und Gastwissenschaftlern sowie fortgeschrittenen Schülern, die Lehraufgaben übernahmen, unterstützt. Da im Laufe der Zeit der Name von dem Hain auf die Schule übertragen wurde, begannen sich die Schulmitglieder Akademiker (Άκαδημαικοί Akademaikoí) zu nennen. So entstand die Akademie, die erste Philosophenschule Griechenlands. Einen Anstoß dazu gab wohl das Vorbild der Pythagoreergemeinschaft in Italien. Es bestand eine Rivalität mit Isokrates, einem Lehrer der Rhetorik, der kurz zuvor – um 390 – eine Schule der Beredsamkeit gegründet hatte; Platons Haltung zu den Bestrebungen des Isokrates war kritisch.[26] Auf dem Grundstück der Akademie lebte und lehrte Platon in den folgenden zwei Jahrzehnten.
Zweite Sizilienreise
Trotz der schlechten Erfahrungen auf der ersten Sizilienreise ließ sich Platon nach dem Tod des 367 gestorbenen Tyrannen Dionysios I. zu einer weiteren Reise nach Syrakus bewegen. Nachdem er zunächst starke Bedenken gehegt hatte, machte er sich 366 v. Chr. auf den Weg. Er folgte einer Einladung, die der Sohn und Nachfolger des Tyrannen, Dionysios II., auf Veranlassung von Platons Freund Dion an ihn gerichtet hatte. Dion erstrebte für sich eine maßgebliche Stellung am Hof. Platon hoffte, im Zusammenwirken mit Dion seine politischen Vorstellungen durch Einflussnahme auf den jungen Herrscher zur Geltung bringen und erproben zu können, günstigstenfalls ein Staatswesen nach dem Ideal der Philosophenherrschaft einzurichten. Dion war optimistischer als der von Anfang an eher skeptische Platon.[27]
Es zeigte sich jedoch, dass Dionysios II. zu einer umfassenden Staatsreform nicht willens oder nicht in der Lage war; sein Hauptaugenmerk galt der Sicherung seiner stets bedrohten Herrschaft. Am Hof konnte sich nur durchsetzen, wer in den dortigen Intrigen und Machtkämpfen die Oberhand behielt.[28] In den Auseinandersetzungen griff Dion zu konspirativen Mitteln, was (wohl im Spätsommer 366) zu seiner Verbannung führte; er begab sich nach Griechenland.[29] Nach diesem Fehlschlag reiste auch Platon im Jahre 365 ab. Es wurde aber mit Dionysios vereinbart, dass beide nach einer Beruhigung der Lage zurückkehren sollten. Zwischen Dion und Dionysios bestand eine Rivalität um die Freundschaft Platons, und Dionysios war darüber enttäuscht, dass Platon Dion den Vorzug gab.[30]
Dritte Sizilienreise
361 v. Chr. reiste Platon zum dritten Mal – wiederum widerwillig und gedrängt – nach Sizilien. Archytas hatte ihn darum gebeten, in der Hoffnung, dass Platon einen günstigen Einfluss auf den Tyrannen ausüben werde, und Dionysios II., der die Anwesenheit des Philosophen wünschte, hatte Druck ausgeübt, indem er das Eintreffen Platons zur Bedingung für eine Begnadigung Dions machte. So entschloss sich Platon, zusammen mit seinen Schülern Speusippos und Xenokrates auf einem von Dionysios geschickten Schiff die Reise anzutreten.[31]
Das entscheidende Gespräch mit Dionysios verlief für Platon enttäuschend. Nach Platons Darstellung bildete sich Dionysios zu Unrecht ein, die philosophischen Lehren bereits zu verstehen, und zeigte keine Bereitschaft, sich der Disziplin echter Schülerschaft zu unterwerfen und ein philosophisches Leben zu führen. Außerdem hielt er die Zusage einer Rehabilitierung Dions nicht ein und beschlagnahmte sogar dessen großes Vermögen.[32] In den Kreisen der Platoniker und der Anhänger Dions hatte sich die Überzeugung verbreitet, dass nur ein Sturz des Tyrannen eine Besserung der Lage bewirken könne. Speusippos nutzte seinen Aufenthalt in Syrakus zur Betätigung in diesem Sinne, was dem Tyrannen wohl nicht verborgen blieb.[33] Durch die Parteinahme seiner Freunde und Anhänger für die Opposition geriet Platon in Verdacht und Bedrängnis, insbesondere als er sich für einen des Hochverrats verdächtigten Parteigänger Dions einsetzte.[34] Söldner des Dionysios, die Interesse am Fortbestand der bestehenden Machtverhältnisse hatten, bedrohten ihn.[35] Aus dieser lebensgefährlichen Lage rettete ihn Archytas, der von Tarent aus intervenierte und ihm im Sommer 360 die Heimkehr nach Athen ermöglichte.
Umsturz in Syrakus
Nach dem Scheitern von Platons Bemühungen beschloss Dion, mit seinen Anhängern zur Gewalt zu greifen. Dabei ermutigten und unterstützten ihn Mitglieder der Akademie, der er auch selbst angehörte. Platon hielt sich davon fern, da er weiterhin in einem Verhältnis der Gastfreundschaft zum Tyrannen stand, doch widersetzte er sich diesen Aktivitäten seiner Schüler nicht.[36] 357 wagte Dion den Feldzug mit einer kleinen Streitmacht von Söldnern. Es gelang ihm bald nach seiner Landung auf Sizilien, Dionysios mit Hilfe von dessen zahlreichen Feinden in Syrakus zu stürzen und in der Stadt die Macht zu übernehmen. Ob bzw. inwieweit er tatsächlich eine platonische Staatsordnung einführen wollte, wovon Platon selbst bis zuletzt überzeugt war, ist umstritten.[37] Jedenfalls versuchte er, die Verfassung umzugestalten, stieß dabei aber auf heftigen Widerstand und wurde verdächtigt, eine neue Tyrannenherrschaft errichten zu wollen. Dies führte nach mancherlei Wirren und Kämpfen 354 zu seiner Ermordung. Als Platon von Dions Tod erfuhr, dichtete er ein Epigramm, mit dem er dem geliebten Freund ein literarisches Denkmal setzte. An Dions Verwandte und Parteigänger in Sizilien richtete er den siebten Brief, in dem er sein Verhalten begründete und erläuterte.
Alter und Tod
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Platon lehrend und forschend. In hohem Alter wandte er sich mit einem öffentlichen Vortrag Über das Gute an ein breites, nichtphilosophisches Publikum, bei dem er jedoch auf Verständnislosigkeit stieß.[38] Er starb 348/347 v. Chr. und wurde auf dem Gelände der Akademie oder in dessen Nähe bestattet, laut Philochoros im Garten neben dem Museion.[39] Sein Testament ist erhalten. Da er unverheiratet und kinderlos war, fiel sein Erbe an einen Neffen oder Großneffen, den Knaben Adeimantos. Zu seinem Nachfolger als Leiter der Akademie (Scholarch) wurde sein Neffe Speusippos gewählt.
Die dreibändige Gesamtausgabe von Platons Werken, die der Drucker Henri Estienne (latinisiert Henricus Stephanus) im Jahr 1578 in Genf veröffentlichte, war bis ins frühe 19. Jahrhundert die maßgebliche Edition. Nach der Seitennummerierung dieser Ausgabe (Stephanus-Paginierung) werden Platons Werke noch heute zitiert.
Überlieferung und Echtheit
Alle Werke Platons, die in der Antike bekannt waren, sind erhalten geblieben, abgesehen vom Vortrag Über das Gute, von dem es eine Nachschrift des Aristoteles gab, die verloren ist. Hinzu kommen Werke, die unter Platons Namen verbreitet waren, aber möglicherweise oder sicher unecht sind; auch sie gehören größtenteils zum Corpus Platonicum (der Gesamtheit der traditionell Platon zugeschriebenen Werke), obwohl ihre Unechtheit teils schon in der Antike erkannt wurde. Insgesamt sind 47 Titel von Werken bekannt, die Platon verfasst hat oder für die er als Autor in Anspruch genommen worden ist.[40] Das Corpus Platonicum besteht aus den Dialogen (darunter das unvollendete Spätwerk Kritias), der Apologie des Sokrates, einer Sammlung von 13 Briefen sowie einer Sammlung von Definitionen, den Horoi. Außerhalb des Corpus überliefert sind eine Sammlung von Dihairesen, zwei weitere Briefe, 32 Epigramme und ein Gedichtfragment (7 Hexameter); mit Ausnahme eines Teils der Gedichte stammen diese Werke sicher nicht von Platon.[41]
Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. beschäftigten sich Philologen der Alexandrinischen Schule mit den Werken Platons. Einer von ihnen, Aristophanes von Byzanz (3./2. Jahrhundert v. Chr.), ordnete die Schriften in Trilogien. Die verbreitetste antike Gruppierung ist jedoch diejenige in neun Tetralogien (Vierergruppen), also 36 Werke, nämlich 34 Dialoge, die Apologie und die Briefsammlung.[42] Die Tetralogienordnung, deren Entstehungszeit umstritten ist, wurde nach inhaltlichen Gesichtspunkten durchgeführt; dabei ging es den antiken Platonikern hauptsächlich um die didaktisch-pädagogische Frage, in welcher Reihenfolge ein Schüler die Schriften lesen sollte.
Der heutige, von der Mehrheit der Gelehrten akzeptierte Forschungsstand in der Echtheitsfrage der 36 Werke, aus denen die Tetralogien bestehen, ist folgender:
- Neben der Apologie sind 24 Dialoge sicher echt: Charmides, Euthydemos, Euthyphron, Gorgias, Ion, Kratylos, Kritias, Kriton, Laches, Lysis, Menexenos, Menon, Nomoi („Die Gesetze“), Parmenides, Phaidon, Phaidros, Philebos, Politeia („Der Staat“), Politikos („Der Staatsmann“), Protagoras, Sophistes („Der Sophist“), Symposion („Das Gastmahl“), Theaitetos, Timaios
- 5 sind umstritten (Dubia): Alkibiades I,[43] Hippias maior („Großer Hippias“),[44] Hippias minor („Kleiner Hippias“),[45] Kleitophon,[46] Theages[47]
- 5 sind sicher unecht (Spuria): Alkibiades II, Epinomis, Anterastai (lateinisch Amatores), Hipparchos, Minos
Von den Briefen sind alle außer dem Dritten, Sechsten, Siebten und Achten sicher unecht; der Siebte Brief wird überwiegend als echt akzeptiert, die drei übrigen sind umstritten.[48]
Neben den 34 Dialogen der Tetralogien enthält das traditionelle Corpus Platonicum noch weitere, die heute jedoch als „Anhang“ zum Corpus (Appendix Platonica) ausgesondert sind, da sie sicher unecht sind. Alle unechten Dialoge gehen anscheinend auf Mitglieder der Älteren und der Jüngeren Akademie zurück. Sie sind im Zeitraum zwischen dem 4. und dem 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden. Manche wurden wohl schon früh in die Tetralogienordnung aufgenommen und verblieben trotz bereits bestehender Zweifel in ihr, wobei der Wunsch, am Schema von neun Tetralogien festzuhalten, eine Rolle gespielt haben dürfte. Heute betrachtet die Forschung die unechten Dialoge nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Fälschung, sondern sieht in ihnen Beispiele für eine Platons Stil und Argumentationsweise nachahmende Auseinandersetzung mit von ihm aufgeworfenen Problemen. Außerdem wird in neueren Untersuchungen nicht mehr an einer strikten Trennung von echten und unechten Schriften festgehalten; vielmehr wird die Möglichkeit aufgezeigt, dass es sich bei manchen zweifelhaften und unechten Dialogen um Entwürfe Platons bzw. Ausarbeitungen solcher Entwürfe durch seine Schüler oder spätere Platoniker handelt. Auch bei den sicher authentischen Dialogen, besonders den späten, rechnet man mit Überarbeitung durch Mitglieder der Akademie. Es ist auch bezeugt, dass Platon selbst seine Werke beständig fortentwickelt hat.[49]
Die Textüberlieferung basiert in erster Linie auf den zahlreichen mittelalterlichen Handschriften, die sich letztlich auf zwei antike Abschriften zurückführen lassen. Der Vergleich der handschriftlichen Überlieferung mit den vielen teils umfangreichen Platonzitaten in antiker Literatur zeigt, dass der vorliegende Textbestand weitgehend einheitlich und zuverlässig ist. Die handschriftliche Überlieferung setzt im späten 9. Jahrhundert ein. Der Patriarch von Konstantinopel Photios I., ein führender Gelehrter des 9. Jahrhunderts, ließ eine Sammlung aller unter Platons Namen überlieferten Werke in zwei Codices anfertigen. Diese beiden Bände sind heute verloren, doch der Text des Patriarchen war die Basis späterer, teils prachtvoller Abschriften, die einen Großteil der heute vorliegenden Textüberlieferung ausmachen. Eine weitere Sammelhandschrift von Platons Schriften entstand im Auftrag von Arethas, einem Schüler des Photios.[50] 1423 brachte der Humanist Giovanni Aurispa eine vollständige Sammlung von Platons Werken aus Konstantinopel nach Italien. Eine Ergänzung zu den mittelalterlichen Textzeugen bilden die vielen antiken Papyri, die allerdings nur Textfragmente enthalten.[51] Der älteste Papyrus stammt aus dem späten 4. oder frühen 3. Jahrhundert v. Chr.[52]
Chronologie
Eine absolute Datierung der einzelnen Werke ist sehr schwierig, da sie kaum Hinweise auf historische Ereignisse ihrer Abfassungszeit bieten und die Handlung der Dialoge in der Regel in die Lebenszeit des Sokrates gesetzt ist, also in die Zeit vor dem eigentlichen Beginn von Platons schriftstellerischer Tätigkeit.[53] In manchen Fällen kann zumindest der Zeitraum der Entstehung eingegrenzt werden, etwa dank Anspielungen auf Datierbares oder auch durch das Einsetzen der Rezeption.
Die relative Datierung der Schriften innerhalb des Gesamtwerks wird in der Forschung seit dem späten 18. Jahrhundert intensiv diskutiert, da die Ermittlung der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung Voraussetzung für alle Hypothesen über die Entwicklung von Platons Denken ist. Eindeutige interne Kriterien sind Querverweise in den Dialogen, die aber nur vereinzelt vorkommen. Externe (historische) Kriterien sind Hinweise auf datierbare Ereignisse, die sich aber teilweise nicht eindeutig zuordnen lassen. Die Argumentation basiert daher hauptsächlich auf philologischen Beobachtungen und auf Überlegungen zu einer stimmigen philosophischen Entwicklung. Dabei geht es unter anderem um Hypothesen, wonach ein Dialog auf einem anderen aufbaut und die Kenntnis der dort entwickelten Gedankengänge voraussetzt. Die wichtigsten Kriterien sind aber nicht inhaltlicher, sondern sprachlicher Art. Hierbei relevante sprachliche Merkmale ergeben sich zum einen aus einer allgemeinen Stilanalyse, die allerdings wegen ihres subjektiven Charakters und wegen Platons großer Variationsbreite in der Stilkunst kaum zwingende Folgerungen gestattet; zum anderen geht es um die Detailergebnisse der Anwendung sprachstatistischer Methoden, die bereits 1867 begann.[54] Grundlage der Sprachstatistik ist die Beobachtung, dass das Vorkommen und die Häufigkeit der Verwendung einzelner Wörter oder auch Partikelkombinationen für einzelne Schaffensphasen eines Autors charakteristisch sein können. Anhaltspunkte solcher Art ergeben sich außerdem aus der Satzrhythmik und aus Hiaten.
Die Kombination dieser Ansätze hat eine grobe Dreiteilung in frühe, mittlere und späte Werke ermöglicht, die sich – mit einigen Schwankungen – als herrschende Lehrmeinung etabliert hat. Allerdings wird diesem Schema hinsichtlich einzelner Werke immer wieder widersprochen und die Solidität seiner Basis bestritten. Eine Reihe von Grenzfällen ist weiterhin ungeklärt. Hinzu kommt, dass für diejenigen Platonforscher, die den Aspekt der wiederholten Überarbeitung mancher Dialoge betonen, die Ergebnisse der sprachstatistischen Untersuchungen kaum Gewicht haben. Außerdem bleibt die Reihenfolge innerhalb der drei Gruppen zu einem erheblichen Teil unsicher oder gänzlich unklar.
Nach der heute vorherrschenden Auffassung[55] ist aufgrund der stilistischen Analyse folgende Gruppierung relativ plausibel (mit alphabetischer Reihenfolge innerhalb der Gruppen):
Frühwerke | Apologie, Charmides, Euthydemos, Euthyphron, Gorgias, Hippias minor (falls echt), Ion, Kratylos, Kriton, Laches, Lysis, Menexenos, Menon, Phaidon, Protagoras, Symposion |
Werke der mittleren Zeit | Parmenides, Phaidros, Politeia, Theaitetos |
Späte Werke | Kritias, Nomoi, Philebos, Politikos, Sophistes, Timaios |
Bei der Betrachtung nach inhaltlichen Gesichtspunkten ergibt sich ein ähnliches Bild, doch scheinen dann Kratylos, Phaidon und Symposion eher der Mittelgruppe als den Frühwerken anzugehören, während Parmenides und Theaitetos, die stilistisch noch zur Mittelgruppe gerechnet werden, inhaltlich gesehen bereits zum Spätwerk gehören. Darin liegt kein Widerspruch zu den Ergebnissen der Stilanalyse, da die Phasen einer philosophischen Entwicklung nicht genau denen der stilistischen entsprechen müssen. Terminologisch kann aber aus den unterschiedlichen Kriterien der Periodisierung Verwirrung resultieren.
Das Dialogprinzip
Alle Werke Platons mit Ausnahme der Briefe und der Apologie sind nicht – wie damals das meiste philosophische Schrifttum – als Lehrgedichte oder Traktate, sondern in Dialogform geschrieben; auch die Apologie enthält vereinzelt dialogische Passagen. Dabei lässt Platon eine Hauptfigur, meist Sokrates, mit unterschiedlichen Gesprächspartnern philosophische Debatten führen, die von Einschüben wie indirekten Berichten, Exkursen oder mythologischen Partien abgelöst und ergänzt sowie mit ihnen verwoben werden; lange monologische Reden kommen darin ebenfalls vor. Auch andere Sokrates-Schüler wie Xenophon, Aischines, Antisthenes, Euklid von Megara und Phaidon von Elis verfassten Werke in der Form des sokratischen Dialogs (Σωκρατικοὶ λόγοι Sokratikoì lógoi),[56] doch Platon erlangte auf diesem Gebiet eine so überragende Bedeutung, dass die Antike ihn (wenn auch nicht einhellig) als Erfinder dieser damals noch jungen literarischen Gattung betrachtete. Er verhalf dem sokratischen Dialog zum Durchbruch und zugleich zur Vollendung.[57]
Die Dialogform unterscheidet sich von anderen Textformen deutlich:
- Sie spricht den Leser durch die künstlerische Ausführung an.
- Sie befreit von der Erwartung systematischer Vollständigkeit; Ungeklärtes darf offenbleiben.
- Sie bildet einen Prozess der Erkenntnisgewinnung ab, der auch zur Revision von Positionen führt, und regt damit stärker als eine Lehrschrift zum aktiven Mitdenken an.
- Der Autor nimmt nicht zu den vorgetragenen Thesen Stellung; er tritt hinter seine Figuren zurück[58] und überlässt die Urteilsbildung dem Leser.
- Das Denken stellt sich der argumentativen Kontrolle durch die Gesprächspartner.
- Eine starre Terminologie, wie Platon sie generell scheut, kann vermieden werden.[59]
Ort und Zeit der Dialoge sind oft genau angegeben; so bilden etwa der Besuch beim inhaftierten Sokrates (Kriton), das Haus eines reichen Atheners (Politeia), ein Gastmahl (Symposion), ein Spaziergang außerhalb Athens (Phaidros) oder die Wanderung zu einem Heiligtum (Nomoi) das konkrete Umfeld. Die realitätsnahe Rahmengebung erweckt den Eindruck einer historischen Begebenheit und vermittelt Authentizität. Es handelt sich allerdings nicht um authentische Gesprächsprotokolle, sondern um literarische Fiktionen. Häufig werden auch Quellen der Überlieferungen, Berichte oder Mythen, welche in die Dialoge eingeflochten sind, präzise beschrieben und beglaubigt, beispielsweise beim Atlantis-Mythos im Timaios und im Kritias.
Der aus Platons Perspektive gezeichnete Sokrates, in dessen Gestalt sich historische und idealisierte Züge mischen, steht im Zentrum der weitaus meisten Dialoge. Eine Abgrenzung zwischen Platons eigener Philosophie und der des historischen Sokrates, der sich nur mündlich geäußert hat, ist unter diesen Umständen schwierig; sie gehört seit langem zu den wichtigsten und umstrittensten Themen der Forschung. Oft werden die frühen aporetischen Dialoge als relativ wirklichkeitsgetreue Wiedergaben der Ansichten des historischen Sokrates angesehen und daher zur Gewinnung eines Bildes von der originären sokratischen Philosophie genutzt. Am besten eignet sich zu diesem Zweck wohl die Apologie. Spätestens in den mittleren Dialogen, in denen die Ideenlehre in den Vordergrund tritt, gewinnt Platons eigenes Denken an Gewicht. Manche Forscher setzten in der angenommenen Entwicklung vom sokratischen zum originär platonischen Philosophieren eine Übergangsphase an, der sie unter anderem Euthydemos, Hippias maior, Lysis, Menexenos und Menon zurechnen. Platon selbst bleibt in seinen Werken stets im Hintergrund; lediglich in der Apologie[60] und im Phaidon[61] fällt sein Name am Rande.[62]
Der platonische Sokrates dominiert den Dialog. Er bestimmt den Gesprächsverlauf, indem er ihm die entscheidenden Impulse gibt, und er verhilft seinen Partnern auf maieutische Weise zu Einsichten und Erkenntnissen. Er widerlegt die Meinungen anderer; damit kontrastiert der Umstand, dass seine eigenen Äußerungen sich stets als unangreifbar erweisen. Meist sind sich die Gesprächspartner zunächst ihrer Sache sicher, werden dann aber von Sokrates auf Mängel in ihren Gedankengängen oder in ihren ungeprüften Vorannahmen aufmerksam gemacht, bis sie die Fehlerhaftigkeit ihrer bisherigen Meinungen einsehen. Großenteils handelt es sich bei den Dialogpartnern um individuell gezeichnete Figuren, für die historische Vorlagen nachweisbar sind. In den frühen Dialogen sind es meist Personen, die eine direkte oder indirekte Verbindung zum jeweiligen Thema erkennen lassen, beispielsweise Priester, Dichter, Staatsmänner, militärische Kommandeure, Erzieher oder Redner, denen der Leser aufgrund ihres Berufes Kompetenz auf dem betreffenden Gebiet zutraut. Erst in den Spätwerken weisen die Dialogteilnehmer oftmals einen spezifisch philosophischen Hintergrund auf, wie ihre einschlägigen Vorkenntnisse zeigen.[63] Die Dialogform ermöglicht es Platon, die sprachliche Gestaltung der freien Rede gelegentlich bestimmten bekannten Eigentümlichkeiten seiner Protagonisten anzugleichen.
Die Zahl der Diskutierenden schwankt zwischen zwei und vier. Sokrates entwickelt seinen Gedankengang in der Auseinandersetzung mit seinen bewusst gewählten Gesprächspartnern, wobei er sich ihnen immer nur nacheinander zuwendet. Mit einem Wechsel des Gesprächspartners geht häufig eine abrupte Veränderung des Niveaus der Debatte einher. Solche Wechsel treten auch ein, wenn der dominierende Gesprächspartner auf nicht anwesende Personen ausweicht, indem er vom Verlauf eines früheren Dialogs mit anderen Personen berichtet, wie etwa im Fall der Rede der Diotima über den Eros im Symposion. Ziel des Dialogs ist die Übereinstimmung (ὁμολογία homología) der Gesprächspartner im Ergebnis der Erörterung. Je nach Art des Themas und Kompetenz der Teilnehmer führt der Dialog zu einer für alle zufriedenstellenden Lösung oder auch in eine ausweglose Argumentationssituation (Aporie, ἀπορία aporía „Ratlosigkeit“). Wenn etwas geklärt werden müsste, aber in der aktuellen Gesprächskonstellation eine Überforderung wäre, überträgt Platon diese Aufgabe bewusst der Auseinandersetzung mit einem anderen Gesprächspartner.[64]
Die Dialoge stellen äußerst unterschiedliche Anforderungen an die intellektuellen Fähigkeiten der Leser. Daher ist nicht klar, welches Zielpublikum Platon gewöhnlich im Auge hatte. Wahrscheinlich ist, dass sich seine Dialoge teils primär als werbende (protreptische) Schriften an eine breitere Leserschaft wandten, während anspruchsvolle Werke wie der Timaios in erster Linie für philosophisch Vorgebildete und Schüler der Akademie bestimmt waren. Jedenfalls wollte Platon auf die gebildete Öffentlichkeit einwirken, um Außenstehende für die Philosophie zu gewinnen und auch um seine politischen Überzeugungen zu verbreiten.[65] Allerdings sah er auch die Gefahr von Missverständnissen, wenn seine Schriften in die Hände von Lesern gelangten, die unfähig waren, sie ohne weitere Hilfen zu erschließen.[66]
Es ist davon auszugehen, dass es sich beim zeitgenössischen Publikum sowohl um Leser als auch um Hörer handelte, und dass dem Vorlesen und Diskutieren ein hoher Stellenwert zukam.[67] Die Dialoge, die auch Parallelen zum griechischen Drama zeigen und stellenweise Tragödienzitate aufweisen, wurden in der Antike bisweilen wie Dramen aufgeführt oder rezitiert.[68]
Merkmale der Dialoggruppen
Frühwerke
Platons frühe Werke stellen in plastischer Anschaulichkeit und dramatischer Lebendigkeit Personen und deren Meinungen dar. In einer Reihe von Dialogen dieser Phase geht es um die Suche nach Antworten auf die für Sokrates wichtigsten und drängendsten Fragen; gefragt wird etwa nach dem Wesen der Frömmigkeit (Euthyphron), der Tapferkeit (Laches), der Besonnenheit (Charmides), der Tugend (Hippias minor) sowie der Freundschaft und Liebe (Lysis).
Vor allem von vermeintlichen Experten erwartet Sokrates diesbezüglich stichhaltige Antworten, doch zeigt sich bei eingehender Befragung, dass sie keine befriedigenden Auskünfte zu bieten haben. In einigen Dialogen bleibt die anfangs gestellte Aufgabe ungelöst; sie werden als aporetische Definitionsdialoge bezeichnet. Die Aporie bedeutet aber nicht, dass Platon von der Unlösbarkeit des Problems überzeugt war, sondern kann auch darauf zurückzuführen sein, dass der Dialogpartner für die Erarbeitung einer Lösung unzureichend qualifiziert war.[69] Als Debattierer treten oft unerfahrene, aber wissbegierige Jünglinge auf.
Eine Dialoggruppe dieser Phase hat die scharfe Auseinandersetzung mit bekannten Sophisten wie Gorgias von Leontinoi oder Protagoras zum Thema, deren Haltung zur Ethik und zur Pädagogik der platonische Sokrates energisch entgegentritt. Unter dem bei ihm abwertend gemeinten Begriff „Sophisten“ fasst Platon unterschiedliche Denker zusammen, die als Lehrer umherzogen und gegen Entgelt unterrichteten, ansonsten aber wenig gemeinsam hatten. Bei ihm erscheint der typische Sophist als Inbegriff eines Vermittlers von wertlosem Scheinwissen. Platons polemische Darstellung bietet kein zuverlässiges Bild der Persönlichkeiten und Lehren der historischen Sophisten.[70] Eine andere Gruppe von Dialogen spielt szenisch und zeitlich im Umfeld der Verurteilung des Sokrates.
Die Grundmethode, die Sokrates in diesen Dialogen anwendet, ist die Widerlegung (ἔλεγχος élenchos „Untersuchung“, „Prüfung“) der ursprünglichen Ansichten seiner Gesprächspartner, die sich als naiv und unreflektiert erweisen. Durch solche Befreiung von Scheinwissen tritt der Mangel an echtem Wissen zutage. Dabei legt Sokrates didaktisch Wert darauf, dass der Gesprächspartner durch eigene Anstrengungen im Verlauf der geistigen Auseinandersetzung Wissen erwirbt. Diese Kunst der Gesprächsführung vergleicht Sokrates selbst mit der „Hebammenkunst“ seiner Mutter (μαιευτική τέχνη maieutikḗ téchnē, daher Maieutik). Gemeinsam wird eine Definition der Begriffe gewonnen. Dem folgt die Suche nach Gründen für die Wahrheit bestimmter Überzeugungen. Sokrates prägt durch seine Persönlichkeit und seine Ironie die ganze Diskussion. Durch seine Fragestellungen lenkt er den Gesprächspartner in die gewünschte Richtung.
Das Ziel der philosophischen Bemühungen ist es, sich der Wahrheit zu nähern und damit Orientierung für das Leben zu gewinnen, indem man erkennt, worin die rechte Lebensweise besteht und wie sie begründet ist. Bei dieser Wahrheitssuche grenzt sich Platon von „sophistischer“ und „rhetorischer“ Streitkunst ab, die er vehement ablehnt, da sie nicht auf Erkenntnis ausgerichtet sei, sondern sich damit begnüge, Kniffe zur Verfügung zu stellen, um einer Auffassung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt zum Sieg zu verhelfen.
Mittlere und späte Werke
Die Dialoge, die nach inhaltlichen Kriterien zur Mittelgruppe zusammengefasst werden, unterscheiden sich deutlich von den Frühwerken. Sie gelten als Platons literarische Meisterwerke. Zwar stehen auch in dieser Phase oftmals Definitionsfragen im Zentrum der Erörterung, doch führt die Untersuchung nicht mehr in aporetische Situationen. Stattdessen wird die nun eingeführte Ideenlehre zumeist als bekannte, einsichtige und daher keiner ausführlichen Begründung mehr bedürftige Grundlage des Gespräches vorausgesetzt. Während in den Frühwerken vorwiegend ethische Fragen debattiert wurden, geht es im mittleren Werk um ein breiteres Spektrum philosophischer Probleme, darunter Themen wie Tod und Unsterblichkeit der Seele (Phaidon), der ideale Staat (Politeia), Liebe (Phaidros) und erotische Anziehung (Symposion), Sprachphilosophie (Kratylos) und das Schöne (Hippias maior).
Auch in späten Werken wird die Ideenlehre erprobt, so etwa in der Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem Sein (Parmenides und Sophistes) und dem Wissen (Theaitetos) und Problemen der Naturphilosophie (Timaios). Die Ideenlehre bildet aber nicht wie in den mittleren Dialogen die Grundlage der Argumentation. Ein anderer Themenschwerpunkt der Spätwerke ist die politische Philosophie (Politikos und Nomoi). Häufig greifen die Spätwerke auf bereits erarbeitete Einsichten zurück oder modifizieren die Thesen früherer Werke erheblich. Auch in der literarischen Gestaltung ist eine Entwicklung von der mittleren zur späten Periode hin feststellbar. Schon in einigen mittleren und dann besonders in den späten Dialogen tritt die Figur des bisher dominierenden Protagonisten Sokrates etwas zurück, und umfangreiche Monologe, die auch von anderen Personen gehalten werden (wie etwa im Timaios), nehmen zu.
Das mythische Element
In die Dialoge sind eine Reihe von Mythen eingebaut, darunter der Atlantis-Mythos im Timaios[71] und Kritias, die Mythen von den Kugelmenschen[72] und der Geburt des Eros[73] im Symposion, die Mythen von Gyges,[74] Er[75] und den Autochthonen[76] in der Politeia, die Mythen vom Seelengespann[77] und von Theuth[78] im Phaidros, der Mythos vom Goldenen Zeitalter im Politikos,[79] der Welterschaffungsmythos im Timaios und mehrere Jenseitsmythen.[80]
Platon bietet seine Mythen in erzählerisch gestalteten Monologen dar, welche meist zu Beginn oder am Ende eines Gespräches eingeflochten sind. Typisch für diese Mythen ist, dass sie nicht nachprüfbare Behauptungen aufstellen. Manchmal kommen göttliche Figuren als Akteure ins Spiel, oder es ist von ferner Vergangenheit die Rede. In manchen Passagen verwendet Platon Metaphern und bildhafte Gleichnisse. Stets geht es darum, den Gehalt theoretischer Aussagen anschaulich zu machen, ihn allegorisch auf eine konkret wirkende Ebene zu übertragen und ihm zusätzliche Überzeugungskraft zu verschaffen. So sollen Platons Mythen etwa den Zustand der Welt (Politikos), ihre Entstehung (Timaios), menschliche Fähigkeiten (Theuth-Mythos), das Wesen der Seele (Phaidros) oder ihr Fortleben im Jenseits (Phaidon) illustrieren. Mit seinen mythologischen Exkursen greift Platon in vielen Fällen auf bestehende Traditionen sowie religiöse und philosophische Vorstellungen zurück, die in der Sophistik, der Orphik oder dem Pythagoreismus gängig waren und die er abwandelt, um sie in den Dienst seiner Absichten zu stellen und seinen Überzeugungen anzupassen.[81]
Generell lassen sich Mythen, die Platon Sokrates vortragen lässt, von solchen unterscheiden, die andere Dialogteilnehmer erzählen. Unter den Mythen, die nicht Sokrates in den Mund gelegt werden, finden sich neben Berichten, die bestimmten Quellen zugeschrieben werden, auch solche, die ohne Hinweis auf eine Quelle Glauben beanspruchen, und aitiologische Sagen, die erklären sollen, wie etwas zustande gekommen ist. So trägt der Sophist Protagoras im gleichnamigen Dialog den Mythos des Prometheus über die Entstehung der Kultur vor, um seine Behauptung zu untermauern, dass Tugend (aretḗ) nach der Art der Sophisten gelehrt werden könne.[82] Ähnlich will der Komödiendichter Aristophanes im Symposion mit dem Mythos der Kugelmenschen veranschaulichen, dass Erotik als Streben nach Wiederherstellung einer ursprünglichen Einheit und Ganzheit zu deuten sei.
Der bekannteste und umstrittenste platonische Mythos ist der von Atlantis, den Platon Kritias mit Berufung auf eine Tradition von Zeugen und angeblichen schriftlichen Belegen im nach ihm benannten Dialog und im Timaios erzählen lässt.[83] In diesen Dialogen schildert Platon die mächtige Seemacht Atlantis, die einst im Krieg der mit idealen Zügen ausgestatteten Landmacht Ur-Athen unterlag und schließlich im Meer versank. Dieser Mythos wird meist als Illustration der behaupteten Überlegenheit des platonischen Idealstaates der Politeia aufgefasst.[84] Religiös-erbaulichen Zwecken dienen Platons Jenseitsmythen, in denen er Sokrates das Schicksal der unsterblichen Seele nach dem Tod beschreiben lässt.
Die Bedeutung des Wortes Mythos variiert bei Platon erheblich. Oft scheint es einen Gegensatz zum Begriff Logos auszudrücken, der in der Philosophie eine auf Begründungen gestützte Aussage bezeichnet. Mythos und Logos können aber auch miteinander verwoben sein, und häufig gibt Platon einen Mythos als Logos und damit als in der Realität fundiert aus; vielfach betont er den Wahrheitsgehalt des Erzählten. Es kommen Mythen vor, bei denen sich die Erzähler auf Quellen berufen, für die sie einen Glaubwürdigkeitsanspruch erheben, wie etwa der Mythos des Er in der Politeia.[85] Anderenorts schreibt Platon von einer Mischung aus Wahrem und Falschem im Mythos und bezeichnet Mythen als Geschichten für Kinder.[86] In den Dialogen grenzt er mancherorts den Mythos vom Logos scharf ab, doch an anderer Stelle überlässt sein Sokrates die Entscheidung, ob eine Erzählung als Mythos oder Logos einzuschätzen ist, dem Urteil der Gesprächspartner.[87]
In der Platonforschung sind daher unterschiedliche Interpretationen der Stellung des Mythos zum Logos vorgeschlagen worden. Manche Gelehrte sehen im Mythos eine dem Logos untergeordnete Form.[88] Andere nehmen an, dass Mythos und Logos als gleichermaßen legitime Zugänge zur Wahrheit präsentiert werden. Demnach fasst Platon den Mythos nicht im Sinne eines Gegensatzes zum Logos auf; vielmehr handelt es sich um zwei komplementäre Annäherungen an die Wirklichkeit, zwei verschiedenartige Wege zum Verständnis der Welt, von denen der eine mit Vernunftgründen abgesichert ist, während der andere Aspekte vor Augen stellt, die auf rationalem Weg schwer begreiflich zu machen sind.[89] Je nach dem Verständnis ihres Sinnes und Zwecks sind die Mythen seit der Antike hinsichtlich ihres literarischen und philosophischen Werts sehr unterschiedlich beurteilt worden.[90]