Zirkumzision
teilweise oder vollständige Entfernung der männlichen Vorhaut / aus Wikipedia, der freien encyclopedia
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Zirkumzision (von lateinisch circum ‚um, herum‘ / lateinisch incisere ‚schneiden‘: lateinisch circumcisio ‚Beschneidung‘), auch männliche Beschneidung, meint in erster Linie die vollständige Entfernung der männlichen Vorhaut.[1] Mittlerweile wird entgegen der ursprünglichen Bedeutung vielfach auch eine teilweise Entfernung der männlichen Vorhaut als Zirkumzision angesehen. Die Zirkumzision gehört zu den weltweit am häufigsten durchgeführten körperlichen Eingriffen und wird meist aus religiösen und kulturellen Beweggründen durchgeführt, selten mit medizinischer Indikation.
Gegenwärtig sind schätzungsweise zwischen 33 %[2][3] und 39 %[4] der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Die Beschneidung von gesunden Kindern am achten Lebenstag gilt im Judentum als Gebot Gottes. Der Koran erwähnt sie nicht ausdrücklich. Dennoch ist sie in islamisch geprägten Ländern als Sunna weit verbreitet und wird im Kindes- oder Jugendalter durchgeführt. In einigen Gesellschaften ist die Beschneidung ein Initiationsritual; dieses Ritual symbolisiert die Aufnahme des Jugendlichen in die Gemeinschaft der erwachsenen Männer.
Die Zirkumzision ist eine von mehreren Behandlungsmöglichkeiten (s. z. B. Triple Inzision), die beispielsweise bei schweren Formen der pathologischen Phimose als indiziert gilt, wenn Behandlungsalternativen nicht erfolgversprechend sind oder zuvor keinen Heilungserfolg brachten.[5]
Die Zirkumzision als Routineeingriff ist besonders bei Minderjährigen umstritten, wenn auch nicht annähernd in einem Maße, das mit dem der universellen Ächtung der Weiblichen Genitalverstümmelung vergleichbar wäre. Von vielen Kinderschutzverbänden und einem Teil der Ärzteorganisationen wird die nicht medizinisch begründete Beschneidung abgelehnt, da sie den Körper irreversibel verändere und bei nicht einwilligungsfähigen Jungen nicht im Einklang mit Gesundheitsschutz und Kindeswohl stehe.[6] Im angelsächsischen Bereich gibt es schon länger eine gesellschaftliche Debatte zwischen Gruppen von Gegnern der Beschneidung („Intaktivisten“-Bewegung) und Befürwortern. Umstritten sind insbesondere medizinischer Nutzen und Risiken, bei Kindern auch ethische und rechtliche Aspekte sowie die Beurteilung im Hinblick auf die Menschenrechte, vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Ursprung und rituelle Bedeutung der Beschneidung
Die Ursprünge des Brauchs der Beschneidung sind weitgehend ungeklärt. Vermutlich haben patriarchale Stammesgesellschaften die Beschneidung beider Geschlechter eingeführt. Älteste Überlieferungen des Rituals deuten auf Volksgruppen, die in ariden, wüstenähnlichen Regionen lebten. Nomaden insbesondere Nord- und Ostafrikas sowie Australiens und deren Nachfolgereligionen praktizieren auch heute die religiös motivierte Beschneidung von Jungen, von Mädchen (siehe Geographische Verbreitung weiblicher Genitalverstümmelung) oder beiden Geschlechtern.
Auf einen Ursprung in der Steinzeit deuten Funde des traditionell verwendeten Werkzeugs. Hier wird vermutet, dass die Prozedur anfänglich der Markierung der Stammeszugehörigkeit diente.[7]
Archäologische Funde legen nahe, dass schon um das Jahr 7500 v. Chr. die Kastration als Akt der Hingabe wesentlicher Teil des antiken Kybele-Kultes war. Einer Theorie der Urologen Mordeniz und Verit zufolge entwickelte sich hieraus der Brauch der Vorhautbeschneidung als weniger invasive und blutige Prozedur. Durch Kontakt mit dem Kult am Beginn des 1. vorchristlichen Jahrtausends sei es zu einer Übernahme des Brauches in das Judentum gekommen. Eine andere, volkstümlichere Argumentation besagt, dass die Vorhaut im Grunde die einzige Stelle des (männlichen) Körpers sei, deren „Opferung“ keinerlei Schaden mit sich bringe.[8] Diese Reform war ein Pars-pro-toto-Opfer, das in der biblischen Tradition – und für den skizzierten Zusammenhang von Menschenopfer (hier Opferung des Sohnes Isaak), Beschneidung und Fruchtbarkeit exemplarisch – Abraham als erster vornahm (Gen 17,12 EU).
Die rituelle oder religiöse Beschneidung in der Pubertät gilt bei beiden Geschlechtern als Initiationsritus. Der heranwachsende Mensch wird in die Gemeinschaft aufgenommen, indem er bewusst in eine Krisensituation gebracht wird, in der er „Mut zeigen“, „sich bewähren“ und als „vollwertiges Mitglied“ erweisen soll. Oft muss er dabei schmerzhafte oder demütigende Prozeduren über sich ergehen lassen. So stellt die Beschneidung bei den Bambara und den Dogon im westafrikanischen Mali einen Mannbarkeitsritus dar, der die ursprüngliche Androgynität, als „verhexte Weiblichkeit“ durch die Vorhaut symbolisiert, aufheben soll.[9]
Neben der Beschneidung der Vorhaut des Mannes gibt es verschiedene Formen von operativen Eingriffen am Penis, die im Rahmen derartiger Initiationsriten bei Naturvölkern auch heute noch praktiziert werden. Bei den Aborigines (den australischen Ureinwohnern) sowie auf mehreren Inseln des Westpazifischen Ozeans ist es Brauch, jungen Männern einige Wochen nach Entfernung der Vorhaut den Penis aufzuschlitzen, was eine vollständige oder partielle Spaltung der Harnröhre bewirkt, die sogenannte Subinzision. In Indonesien werden einigen Jungen zu Beginn der Pubertät Bambus- oder Metallkugeln, sogenannte Implants, in den Penisschaft oder die Eichel eingesetzt.
Beschneidung im Alten Ägypten
Die älteste bekannte Darstellung einer durch Priester[10] durchgeführten Beschneidung ist ein ägyptisches Relief in der Mastaba des Anchmahor, Wesir des Pharao Teti II., in Sakkara (um 2300 v. Chr.). Die Ursprünge der Beschneidung in Ägypten werden unter anderem mit dem dortigen Schlangenkult in Verbindung gebracht, der in der Verehrung der Götter Mehen, Wadjet und Apophis zum Ausdruck kommt. Den alten Ägyptern galt die Schlange als unsterblich, weil sie ihre Haut abwerfen und sich damit immer wieder erneuern konnte. Einige Kulturhistoriker vermuten, die Beschneidung eines Mannes habe symbolisch die Häutung der Schlange nachvollziehen und die menschliche Seele unsterblich machen sollen.
Judentum
Laut der Tora wurde die Beschneidung unter den Israeliten durch ein göttliches Gebot an ihren Stammvater Abraham eingeführt:
„Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch. Jedes Knäblein, wenn’s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen. […] Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an seiner Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volk, weil er meinen Bund gebrochen hat.“
Wie hier erwähnt soll die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt stattfinden. Sie wird von einem jüdischen Beschneider (Mohel, Plural Mohalim) durchgeführt, der darin ausgebildet wurde.[11] Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob die Brit Mila ohne[12][13] oder mit Betäubung stattfinden soll.
Die Beschneidung wird im Judentum als Eintritt in den Bund mit Gott angesehen. Diesen Bund ging Gott nach jüdischer Überlieferung mit Abraham (und seiner Familie) ein; daher wird der Beschneidungsbund auch als „abrahamitischer Bund“ bezeichnet. Sie ist allerdings nicht in erster Linie als Abgrenzung der Juden von anderen Völkern gemeint, sondern als Zeichen des Bundes, sie ist also „weniger Unterscheidungsmerkmal als Bekenntniszeichen.“[14]
Ebenso wie im 1. Jahrhundert n. Chr. der jüdisch-hellenistische Philosoph Philon von Alexandria in De Circumcisione,[15] befürwortete im 12. Jahrhundert der jüdische Arzt und Rabbi Moses Maimonides die Beschneidung auch wegen ihrer angeblich den Sexualtrieb mäßigenden Wirkung:[16] Die Geschlechtsorgane sollten so verletzt und geschwächt werden, dass sie zwar noch funktionieren, aber keine „überschüssige“ Lust mehr zulassen. Die Fähigkeit, der Ehefrau sexuelle Lust zu bereiten, ist aber auch laut Maimonides die Voraussetzung für eine Ehe.
Während nach Ansicht der (christlichen) historisch-kritischen Bibelforschung die größten Teile der Abrahamsgeschichte der Entstehungszeit um 950 v. Chr. zugeordnet werden, soll diese Form des Abrahambund erst 400 Jahre später mit der Priesterschrift im Zuge einer umfassenden Überarbeitung des Pentateuch eingefügt worden sein. Gleiches gilt für die wiederholte Vorschrift der Knabenbeschneidung am achten Lebenstag durch Gott in der Torah (Lev 12,1–8 LUT), die dort im Kontext der vorübergehenden Unreinheit der Mutter erwähnt wird.[17] Als ursprüngliche Version des Bundes gilt Genesis 15 (Gen 15,1–21 EU), welcher dort durch Abraham mittels Tieropfer geschlossen wird.[17]
Dem israelischen Anthropologen Nissan Rubin zufolge enthielt die jüdische Beschneidung in den ersten beiden Jahrtausenden nicht die Periah. Diese sei erst in der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands (132–135 n. Chr.) von den Rabbinern vorgeschrieben worden, um das u. a. im Talmud und bei den Makkabäern (1 Makk 1,11-15 EU) erwähnte meshikhat orlah (das Wiederherstellen der Vorhaut durch Strecken) unmöglich zu machen. Dieses habe sich unter hellenistischem Einfluss verbreitet, da in der griechischen Gesellschaft eine entblößte Eichel als obszön und lächerlich galt.[18]
Die – nach jüdischem und protestantischem Verständnis als Apokryphen gewerteten – Bücher 1 und 2 Makkabäer sind die älteste heute bekannte Quelle für eine Unterdrückung der Brit Mila. Laut Makkabäer hat Antiochos IV. Epiphanes zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts versucht, Juden in seinem Reich zu hellenisieren: „[…] Auch die Beschneidung verbot er und gebot, die Leute an alle Unreinheiten und heidnischen Bräuche zu gewöhnen, … Die Frauen, die ihre Söhne hatten beschneiden lassen, wurden getötet, wie Antiochos befohlen hatte; man hängte ihnen die Knäblein an den Hals in ihren Häusern und tötete auch sie, die sie beschnitten hatten.“ (1 Makk 1,51-64 EU) „Zwei Frauen nämlich wurden vorgeführt, weil sie ihre Söhne beschnitten hatten. Denen band man die Kindlein an die Brust und führte sie öffentlich herum durch die ganze Stadt und warf sie zuletzt über die Mauer hinab.“ (2 Makk 6,10 EU)
In (1 Sam 18,25-27 EU) fordert König Saul für seine Tochter einen Brautpreis von 100 Vorhäuten getöteter Philister von König David, in der Hoffnung, dass dieser dabei umkomme, doch dieser übergibt daraufhin die doppelte Menge. In (Gen 34,14-25 EU) fordern die Brüder Dinas, einer Tochter Jakobs, die vom Sohn des örtlichen Hiwiterfürsten vergewaltigt wurde, die Beschneidung seines Stammes als Voraussetzung für eine ausgleichende Heirat. Auch hier stellt sich die Forderung als List heraus, denn zwei der Brüder nutzen das Wundfieber der Beschnittenen, um ungehindert alles Männliche in der Stadt umzubringen.
Innerhalb des in Deutschland im 19. Jahrhundert aufkommenden Reformjudentums gab es Stimmen, die das alte Ritual abschaffen oder zumindest modifizieren wollten. Der Rabbi Samuel Holdheim vertrat 1844 in seinem Buch Ueber die Beschneidung den Standpunkt, dass die Zirkumzision kein Sakrament und damit für die Zugehörigkeit zum Judentum keine Notwendigkeit sei.[19] Abraham Geiger, einer der Begründer des Reformjudentums, das in Deutschland als liberales Judentum bezeichnet wird, entschied sich aber für die Beibehaltung der Beschneidung, was auch für das Reformjudentum der Gegenwart weiterhin gilt. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verzichteten einige assimilierte jüdische Familien auf die Beschneidung ihrer Söhne. Zum Beispiel ließ Theodor Herzl seinen Sohn Hans 1891 nicht beschneiden.[20] Theodor Herzl identifizierte sich bis 1891 nicht mit dem Judentum; er hatte, bevor er den modernen politischen Zionismus zu begründen begann, zur Lösung der „Judenfrage“ eine Massentaufe der Juden im Wiener Stephansdom empfohlen.
Derzeit lassen die meisten jüdischen Familien – auch die meisten nichtreligiösen – ihre Söhne kurz nach der Geburt beschneiden. In den Ländern des ehemaligen Ostblocks – er zerfiel 1990 – ist nach Angaben eines dort tätigen Mohels nur eine sehr kleine Minderheit unter den jüdischen Männern beschnitten, was auf das frühere kommunistische Regime in diesen Ländern zurückzuführen sei; die Bereitschaft zur Beschneidung nimmt dort dem Mohel zufolge inzwischen aber deutlich zu.[11] In Israel, wo nach Angaben von Rabbiner Moshe Morsenau, Leiter des Referats für Beschneidungen (Brit Mila) im Büro des israelischen Oberrabbinats, 2011 insgesamt rund 60.000 Beschneidungen stattgefunden haben,[21] wird der Anteil der nicht beschnittenen jüdischen Söhne auf 2 % geschätzt und die Anzahl der Familien, die auf eine Brit Mila verzichtet haben, auf einige Tausend.[22] Israelische Gegner der Beschneidung geben an, neue Umfragen hätten ergeben, dass 3 % der jüdischen Israelis ihre Söhne nicht beschnitten haben oder nicht beschneiden wollen.[23]
Christentum
Im frühen Christentum sprach sich Paulus von Tarsus gegen eine Pflicht zur Beschneidung für die neubekehrten Heidenchristen aus. Paulus war selbst ein beschnittener Judenchrist. Für ihn entscheidend war nicht die körperliche Beschneidung, sondern die – bereits im Judentum ebenfalls betonte – „Beschneidung des Herzens“, wie sie schon das 5. Buch Mose kennt: „Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein.“ (Dtn 10,16 EU). Wer glaube, so Paulus, allein durch körperliche Beschneidung gottgefällig zu sein und heilig zu werden, sei auf einem Irrweg: „Die Beschneidung ist wohl nütze, wenn du das Gesetz hältst; hältst du aber das Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen schon ein Unbeschnittener geworden.“ (Röm 2,25 EU). Entscheidend sei der demütige Glaube: „Denn in Christus Jesus kommt es gerade nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist.“ (Gal 5,6 EU)
Er verurteilt den Rückfall in eine bloße Gesetzeshaltung im Philipperbrief in einer eindeutigen Überspitzung: (Phil 3,2-4a:2) „Hütet euch vor den Hunden, hütet euch vor den schlechten Arbeitern, hütet euch vor der Verschneidung.“ (3) „Denn die Beschneidung, das sind wir, die wir im Geiste Gottes dienen und uns in Christus Jesus rühmen und nicht auf Fleisch vertrauen“ – (4) „obgleich ich auch auf Fleisch Vertrauen setzen könnte.“
Hätte man an der Beschneidungspflicht für männliche Konvertiten festgehalten, so hätte dies für die Missionierung von Nichtjuden und den Aufstieg zu einer Weltreligion ein ganz erhebliches Hindernis bedeutet.[24]
Mit dem Ende des antiken Judenchristentums als eigener Strömung verschwand dann die Beschneidung im Christentum fast ganz. Einige christliche Kirchen wie die Koptisch-Orthodoxe Kirche, Äthiopisch-Orthodoxe Kirche sowie die Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche praktizieren weiterhin die Beschneidung. Im Christentum wurde das Ritual der Beschneidung der männlichen Neugeborenen, das zugleich ein Ritual des Namens oder seiner Zuerteilung darstellt, weitgehend durch das der Taufe abgelöst.
Der westgotische König Wamba setzte im Jahr 673 die Beschneidung als Strafe für Angehörige seiner eigenen Truppen ein, die während eines Feldzugs spanische Frauen vergewaltigt hatten. Die Betroffenen wurden damit entsprechend der antijüdischen Gesetzgebung des Toledanischen Reiches als Juden markiert und aus der christlichen Rechtsgemeinschaft ausgestoßen.[25]
Das Zweite Vatikanische Konzil schaffte 1962 das Fest zur Beschneidung des Herrn (in circumcisione domini) ab, mit dem acht Tage nach Heiligabend jeweils am 1. Januar der Beschneidung Jesu (Lk 2,21 EU) gedacht wurde.[26]
Islam
Die Beschneidung (arabisch ختان chitān, DMG ḫitān und ختن, DMG ḫatn,[27] persisch auch ختنه chotne, DMG ḫotne)[28] wird heute von den meisten Muslimen als integraler Bestandteil des Islam angesehen. Der Prophet Mohammed kam laut einer Überlieferung ohne oder mit einer sehr kurzen Vorhaut zur Welt. Die Beschneidung wird heute bei Muslimen als ein Zeichen der Religionszugehörigkeit im Kindesalter – bis zum Alter von 13 Jahren – durchgeführt. Oft wird aus diesem Anlass ein großes Familienfest gefeiert. In den meisten Fällen wird so beschnitten, dass die komplette Vorhaut entfernt wird, so dass die Eichel immer freiliegt. Der Beschneidungsstil „low & tight“ wird hier oft angewendet.
In manchen Ländern (z. B. der Türkei) werden Jungen im späteren Kindesalter beschnitten. Bei der aus diesem Anlass veranstalteten Familienfeier, der Sünnet, können sich islamische Elemente mit traditionellen Elementen mischen.
Die Beschneidung wird im Koran nicht explizit erwähnt und lässt sich lediglich aus der Anweisung, der Religion Abrahams zu folgen, ableiten:
„Sprich: ‚Was Gott sagt, ist die Wahrheit.‘ Folgt dem Weg Abrahams, des Hanifen! Er glaubte innig an Gott, Dem er keine anderen Gottheiten zugesellte.“
Die Beschneidung wird allerdings in den Hadithen erwähnt. Von grundlegender Bedeutung ist die folgende Überlieferung:
„Abū Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm, berichtete: Der Prophet, Allahs Segen und Heil auf ihm, sagte: Zur Fitra (natürlichen Veranlagung) gehören fünf Dinge: Die Beschneidung (der Männer/Jungen), das Abrasieren der Schamhaare, das Schneiden der (Finger- und Fuß-) Nägel, das Auszupfen (oder Rasieren) der Achselhaare und das Kurzschneiden des Schnurrbarts.“
Auch gibt es einen Hadith, wonach Mohammed seine beiden Enkel al-Hasan ibn ʿAlī und al-Husain ibn ʿAlī beschnitten hat, doch gilt er nicht als vertrauenswürdig, weil er weder in den sechs Büchern, noch im Musnad von Ahmad ibn Hanbal erwähnt wird.[30]
Gleichwohl gilt die Beschneidung des männlichen Geschlechtsteils den meisten Muslimen als Pflicht und wird in der Regel bei männlichen muslimischen Kindern schon frühzeitig – oft als Baby – von den Eltern in Auftrag gegeben. Bei später konvertierten Muslimen kann die Beschneidung durch eine Operation mit örtlicher Betäubung erfolgen. Es gilt als eines der Zeichen des Prophetentums, dass die Propheten bereits beschnitten – also ohne Vorhaut – geboren werden. Beschnitten zu sein kann interpretiert werden als „dem Vorbild der Propheten zu entsprechen“.
Das zu diesem Anlass getragene Beschneidungskostüm (Sünnet Kıyafetleri) ist eine traditionelle, religiöse Tracht, die überwiegend in der Türkei Verwendung findet, ist aufwändig gearbeitet und besteht meist aus einer Stoffhose, einen Hemd, einer bestickten Weste, einer Krawatte oder einer Fliege, einem langen Umhang und einer auffälligen Kopfbedeckung. Die Grundfarbe ist oft weiß, es kann aber auch eine andere Farbe haben. Dazu werden Schuhe getragen und ein Zepter oder ein Dolch. Teilweise wird eine Schärpe mit der Aufschrift „Maşallah“ um die Schulter getragen.
Jesidentum
Auch im Jesidentum, das zwar eine monotheistische Religion ist, nicht jedoch auf den Offenbarungen einer Heiligen Schrift beruht, ist die Beschneidung von Jungen im Alter von 14 Jahren Teil der traditionellen Übergangsriten, die Sinet oder Sunet genannt wird.[31]
Neuzeit
Im Jahr 1712 erschien in England das vermutlich von dem geschäftstüchtigen Quacksalber und Schriftsteller John Marten geschriebene und anonym veröffentlichte Pamphlet Onania: or, the Heinous Sin of Self-Pollution („Onanie oder die abscheuliche Sünde der Selbstbeschmutzung“), das nach und nach in alle europäischen Sprachen übersetzt wurde und große Verbreitung erfuhr. Darin wurde behauptet, dass exzessive Masturbation vielfältige Krankheiten wie Pocken und Tuberkulose verursachen könne. Selbst die großen Aufklärer der Zeit glaubten dem anonym veröffentlichten Werk. Denis Diderot nahm die fragwürdigen Thesen sogar in seine Encyclopédie auf. Im 18. und 19. Jahrhundert fand in der Folge in ganz Europa geradezu ein „Feldzug gegen die Masturbation“ statt. Es erschienen unzählige wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Veröffentlichungen, die die angeblichen Gefahren der Masturbation anprangerten und Methoden zu ihrer Verhinderung anboten. Als Standardwerk kann die ab 1760 in unzähligen Auflagen verbreitete Schrift L’Onanisme. Dissertation sur les maladies produits par la masturbation („Die Onanie. Abhandlung über Krankheiten durch Masturbation“) des Lausanner Arztes Simon-Auguste Tissot gelten.[32] Zahlreiche Ärzte dieser Zeit hielten Masturbation für die Ursache von „jugendlicher Rebellion“ und von Krankheiten wie Epilepsie, „Erweichung von Körper und Geist“, Hysterie und Neurosen.
Im viktorianischen England fand die Beschneidung vor allem bei der Oberschicht Zustimmung. Über die britische Kolonisierung (→Britisches Weltreich) verbreitete sich die Beschneidung auch in Indien (bis 1947 britische Kolonie), Nordamerika, Australien, Neuseeland und Südafrika. Ab etwa 1860 erschienen Publikationen, die die Beschneidung als „Prävention gegen Masturbation“ – damals pejorativ als „Selbst-Missbrauch“ bezeichnet – oder als „Bestrafung“ dafür propagierten.[33] Beispiele:
„In Fällen von Masturbation müssen wir, wie ich glaube, die Angewohnheit brechen, indem wir die betreffenden Körperteile in einen solchen Zustand bringen, dass es zu viel Mühe macht, mit der Praktik fortzufahren. Zu diesem Zweck, falls die Vorhaut lang ist, können wir den Patienten beschneiden mit gegenwärtigem und wahrscheinlich auch zukünftigem Vorteil. Auch sollte die Operation nicht unter Chloroform vorgenommen werden, so dass der erlittene Schmerz mit der Angewohnheit, die wir auszurotten wünschen, in Verbindung gebracht werden kann.“
„Eine Abhilfe für Masturbation, die bei kleinen Jungen fast immer erfolgreich ist, ist die Beschneidung […] Die Operation sollte durch einen Chirurgen ohne Betäubung vorgenommen werden, da der damit verbundene Schmerz einen heilsamen Effekt auf den Geist hat, insbesondere wenn er mit der Vorstellung von Bestrafung verbunden ist.“
„Clarence B. ergab sich dem geheimen Laster, das unter Jungen verbreitet ist. Ich führte eine Beschneidung an ihm aus […] Er verdiente die gerechte Bestrafung durch den Operationsschmerz nach seinen unerlaubten Lustempfindungen.“
Die Zahl der Zirkumzisionen nahm zu. Die masturbationsfeindliche Motivation findet sich noch in Campbell’s Urology, einem englischsprachigen Standard-Lehrbuch der Urologie, in der Auflage von 1970:
„Eltern erkennen die Wichtigkeit von lokaler Reinlichkeit und genitaler Hygiene bei ihren Kindern bereitwillig an und sind gewöhnlich bereit, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Masturbation verhindern können. Aus diesen Gründen wird gewöhnlich zur Beschneidung geraten.“[37]
Die medizinisch nicht-notwendige Beschneidung des Penis wurde in Großbritannien nach 1949 von der Liste der bezahlten Leistungen der Krankenkassen (1948 wurde der National Health Service gegründet) gestrichen, in Kanada in den 1990er Jahren. In Australien fielen die Werte ab den 1970ern von 90 % auf 10 bis 20 %.[38] In den Vereinigten Staaten fielen die Werte ab etwa den 1980er Jahren (nicht so stark und teilweise durch Zuwanderung indiziert). Näheres siehe im Abschnitt „Situation in einzelnen Staaten“.
Anteil Beschnittener in der Gegenwart
In den USA wurden gemäß einem Bericht der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) im Jahr 2005 landesweit 56 % der männlichen Neugeborenen vor der Entlassung aus der Klinik beschnitten. Im Mittleren Westen lag der Anteil dabei mit 75 % erheblich höher als im Westen mit 31 %.[39][40] Nach den Daten des National Center for Health Statistics nahm die nationale Rate der beschnittenen Neugeborenen von 1979 bis 2010 von 64,5 % auf 58,3 % ab.[41] Berücksichtigt man alle Altersgruppen so sind in den USA rund 80,5 % der Männer beschnitten.[42]
In Deutschland ermittelte das Wissenschaftliche Institut der AOK für die dort abgerechneten ambulanten und klinischen Fälle von Vorhauteingriffen bei Jungen bis fünf Jahren im Jahre 2006 noch 5472 Eingriffe, 2011 waren es 7103 Fälle, obwohl die Anzahl der versicherten Jungen im gleichen Zeitraum um 5 % sank. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung verzeichnete zwischen 2008 und 2011 allein im ambulanten Bereich einen Anstieg um 34 %.[43][44] In Cottbus betrug nach einer Untersuchung von 2013 auf der Grundlage von 10.000 Fragebögen von 2005 der Anteil der Beschnittenen 6,7 %.[45] Bei 10,9 % der männlichen Jugendlichen in Deutschland wurde eine Zirkumzision durchgeführt.[46] Im Jahr 2014 fanden in Deutschland 66.717 medizinisch indizierte und von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlte Zirkumzisionen ambulant statt, hinzu kommen 13.477 stationäre Zirkumzisionen.[47] Einer 2021 veröffentlichten Analyse zufolge gibt es in Deutschland keinen Trend zur Beschneidung von Neugeborenen. Die überwiegende Mehrheit der zu beschneidenden Jungen werde nach dem ersten Lebensjahr operiert. Die Zirkumzisionsrate war im Untersuchungszeitraum (2005 bis 2017) rückläufig.[48]
In Großbritannien wurde bei rund 21 % der Männer die Vorhaut entfernt, in Frankreich beträgt der Anteil der Beschnittenen rund 14 % und in Belgien sind 22,6 % der Männer beschnitten worden.[49]
Südkorea hat in Asien mit Ausnahme der islamisch geprägten Staaten nach den Philippinen mit den zweithöchsten Anteil an Beschneidungen. Bei jungen Männern beträgt dieser knapp 80 %. Die Beschneidung von Neugeborenen ist unüblich; Südkorea ist das Land mit dem höchsten Anteil an Beschneidungen im Teenager- und Erwachsenenalter[50]. Die Beschneidungsrate ist in den 1980er und 1990er Jahren stark angestiegen (1945 betrug sie etwa 0,1 %).[51] Die Beschneidung wurde bis vor wenigen Jahren in den Hygienevorgaben des Militärs ausdrücklich empfohlen, galt allerdings nie als verpflichtend und wird inzwischen nicht mehr aufgeführt. Seit den 2010er Jahren ist der prozentuale Anteil an beschnittenen Personen in Südkorea moderat sinkend, da immer weniger Zirkumzisionen durchgeführt werden.[52]
Auf den Philippinen ist die Zirkumzision gesellschaftlich weitestgehend ein obligatorischer Bestandteil der dortigen Kulturen und ist dort als Tulì bekannt. Annähernd 92 % der männlichen Bevölkerung auf den Philippinen sind beschnitten.[53]
Es gibt verschiedene chirurgische Methoden zur Durchführung einer Zirkumzision. Bei der am weitesten verbreiteten Methode schneidet der Chirurg die Vorhaut zirkulär mit einem Skalpell ab. Die bei medizinischer Indikation typischerweise angewandte Operationstechnik geht auf den Begründer der plastischen Chirurgie, Johann Friedrich Dieffenbach, zurück.[54]
Vor allem in den USA sind verschiedene Methoden mit unterschiedlichen Klemmen und sogenannten circumcision kits in Gebrauch, die eine freihändige Beschneidung ersetzen sollen und vor allem die Naht überflüssig machen (die Klemme bleibt angelegt, bis unter ihr die Wunde verheilt ist).
Für die neonatale Beschneidung wurden verschiedene Techniken zur Reduzierung der Stressbelastung entwickelt. Kirya und Werthman stellten 1978 den Dorsal Penile Nerve Block (DPNB) vor. Hierfür wird ein lokal wirksames Betäubungsmittel subkutan beidseitig der Peniswurzel injiziert.[55] Als Lokalanästhetikum für den DPNB kommen Lidocain und Bupivacain in Frage. In einer Vergleichsstudie aus 2005 erwies sich Bupivacain als überlegen.[56] Masciello untersuchte 1990 die Lokalanästhesie per Lidocain-Injektion am Penisschaft und fand diese Methode im Vergleich dem DPNB überlegen.[57] Stang u. a. empfahlen 1997 zur Stress- und Schmerzreduzierung zusätzlich zum DPNB die Verwendung eines Schnullers, der zuvor in eine Saccharoselösung getaucht wurde, sowie den Einsatz eines speziell gestalteten OP-Stuhls. Bei einer traditionell durchgeführten Brit Mila kommt dem Sandek die Aufgabe zu, das Kind zu halten und mit süßem Wein zu beruhigen.[58] Die systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse der Daten mehrerer randomisierter, kontrollierter Studien ergab 2001, dass der DPNB bei der neonatalen Beschneidung die am häufigsten untersuchte Methode zur Schmerzlinderung war, zudem am meisten effektiv gegen den Schmerz des Eingriffs. Verglichen mit einem Placebo zeigte sich die oberflächliche Lidocain-Anwendung (EMLA) ebenfalls effektiv, jedoch weniger als ein DPNB. Beide Interventionen erschienen den Reviewautoren als sicher für die Anwendung an Neugeborenen. Keine der untersuchten Methoden konnten die schmerzbedingten Reaktionen komplett eliminieren.[59]
In Deutschland finden nichtrituelle Beschneidungen auch bei Säuglingen immer mit örtlicher Betäubung statt. Laut den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie ist für die operative Behandlung einer Phimose eine Narkose erforderlich, ergänzt durch eine Leitungsanästhesie.[5]
Allgemeines
In Europa ist es verbreitet, die über die Eichel vorgezogene und überstehende Vorhaut zunächst mit einer Klemme zu fassen und vor dieser die Eichel schützenden Ebene durch einen Schnitt abzutrennen. Häufig wird danach der zwischen diesem Schnitt und dem Eichelkranz verbliebene Hautring (inneres Vorhautblatt) zusätzlich eingekürzt. Je nach Wunsch des Patienten oder seiner Eltern oder je nach Empfehlung des Arztes kann dabei ein unterschiedliches Ergebnis hinsichtlich der verbleibenden Hautmenge bestimmt werden (siehe Abschnitt „Beschneidungsstile“). Eine weitere Methode besteht in der freihändigen zirkulären Durchtrennung der Haut an zwei vorher markierten Stellen. Auch diese Markierung dient der Festlegung, wie viel Haut abgetragen werden und wie weit von der Eichel entfernt die verheilte Narbe liegen soll. Danach wird die zwischen den beiden ringförmigen Schnitten liegende Haut abgetragen; die flankierenden Ränder werden zueinander geführt. Diese Art ist bei kurzem Präputium angezeigt, das nicht so weit vor die Eichel gezogen werden kann, dass es vor dieser übersteht.
Der Eingriff dauert zirka 15 Minuten, danach werden die Wundränder mit selbstauflösendem Material miteinander vernäht. Die Wunde heilt in der Regel innerhalb von zwei Wochen ab. Nach dieser Zeit lösen sich die Fäden selbstständig auf. Es sollte jedoch für einen Zeitraum von drei Wochen nach dem Eingriff auf den Geschlechtsverkehr verzichtet werden.[60]
Gomco-Klemme
Gomco Clamp, zu Deutsch Gomco-Klemme, ist ein Markenname der Goldstein Medical Company und wird vor allem in den USA zur Säuglingsbeschneidung eingesetzt. Dabei wird die Klemme zwischen Eichel und Vorhaut geschoben und danach geschlossen. Die Vorhaut wird dabei vorsichtig abgeklemmt. Als Vorteile gelten relativ geringer Blutverlust und relativ schnelle Durchführbarkeit.
Plastibell
Hierbei wird ein zweiteiliger Plastikring angelegt. Dabei liegt ein Teil zwischen Eichel und Vorhaut, der andere Teil außerhalb, an der Basis der Vorhaut. Die zwischen beiden angelegten Teilen liegende Haut wird durch einen Faden abgebunden. Durch das Abbinden fällt die Vorhaut nach einigen Tagen von selbst ab. Das Verfahren kann als minimalinvasiv und relativ schmerzlos betrachtet werden, findet jedoch nicht vollständig unter ärztlicher Überwachung statt, so dass dieser bei eventuellen Schwellungen nicht eingreifen kann. Falls der Ring zu früh entfernt wird, kann die noch nicht ausreichend vernarbte Wunde an ihren Rändern aufplatzen, was zumeist einen weiteren Eingriff in Form einer Wundnaht erfordert; sofern das unterbleibt, kommt es oft zu Entzündungen mit anschließender wulstiger Narbenbildung.[61]
Erstreckung der Beschneidung auf das Vorhautbändchen
Häufig ist das Vorhautbändchen (Frenulum praeputii, siehe „Vorhaut“), eine individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte, mehr oder weniger straffe Hautbrücke an der Unterseite des Penis, gespannt zwischen Harnröhrenöffnung und Schafthaut, ebenfalls Gegenstand der Beschneidung. Dabei wird das Bändchen, unabhängig von dem vorgeschriebenen Maß der Abtragung von innerem und äußerem Vorhautblatt, entweder nur durchtrennt und danach zumeist an den Wundrändern wieder quer vernäht oder es wird vollständig ausgeschnitten. Insbesondere ein kurzes Frenulum (Frenulum breve) kann die Eichel am erigierten Glied herunterziehen und die Erektion damit verkrümmen und schmerzhaft werden lassen. Dieser Effekt wird durch eine Beschneidung, insbesondere eine radikale, entscheidend verstärkt. Deshalb ist es besonders bei „tight“-Beschneidungen zumeist angezeigt, das Frenulum zumindest zu durchtrennen (Frenulotomie), in der Regel sollte – oder muss – es sogar ganz ausgeschnitten werden (Frenulektomie).[62]
Traditionelle Beschneidung
Bei der rituellen jüdischen Beschneidung, der Brit Mila, wird der Eingriff von einer speziell ausgebildeten Person, dem sogenannten Mohel, durchgeführt. Die rituelle muslimische Beschneidung (Sünnet) wird vom Sünnetci durchgeführt. Das für den Ritus übliche Lebensalter ist acht Tage für Juden und bis etwa zwölf Jahre bei Muslimen. Der Blutverlust ist meist so gering, dass auf ein Vernähen der Wundränder verzichtet wird.
Die jüdische Beschneidung besteht aus drei einzelnen Vorgängen: Zunächst wird die Vorhaut vor der Eichel mit einer sichelförmigen Klemme gefasst und mit einem Messer abgetrennt; sodann wird das verbliebene innere Vorhautblatt durch Einreißen abgetragen; und schließlich saugt der Mohel mittels eines Glasröhrchens oder mit dem Mund[63] das Blut aus der Wunde und benetzt diese – zur Reinigung – abschließend mit etwas Wein. Manche Mohalim sind heutzutage Ärzte.[22] An bereits beschnittenen Männern und Jungen, die zum Judentum übertreten, muss nach orthodoxem Verständnis ein den religiösen Akt der Brit Mila symbolisierender Vorgang vollzogen werden, denn eine bereits vollzogene weltliche Beschneidung wird diesem Anspruch nicht gerecht; bei dieser symbolischen Handlung ist durch eine kleine Hauteröffnung zumindest ein Tropfen Blut (Tippat Dam) als wörtliche Übersetzung und zugleich Bezeichnung der Zeremonie hervorzubringen. Nach liberalem Verständnis kann bei der Konversion auf diese Handlung verzichtet werden.
Beim Mann wird bei einer Beschneidung die Vorhaut teilweise oder vollständig entfernt. Die Beschneidungsvarianten variieren daher in Hinsicht auf Straffheit und Platzierung der Narbe: In der Umgangssprache werden die verschiedenen Beschneidungsstile mit englischen Begriffen bezeichnet. Man unterscheidet low, mit nah an der Eichel liegender Narbe und high mit der Narbe am Schaft, weiter entfernt von der Eichel. Bei einer Beschneidung low wird das innere Vorhautblatt nahezu vollständig entfernt. Nach der Straffheit der Schafthaut unterscheidet man zwischen loose, wobei die Eichel im nicht erigierten Zustand noch teilweise bedeckt sein kann und tight, wobei die Eichel immer freiliegt und die Schafthaut bei einer Erektion nur sehr wenig oder keinen Bewegungsspielraum mehr hat. Daraus ergeben sich die Beschneidungsstile high & tight, high & loose, low & tight und low & loose. Wenn sowohl inneres als auch äußeres Vorhautblatt so weit entfernt werden, dass die Eichel immer, auch im nichterigierten Zustand, freiliegt und nur noch ein Rest von wenigen – bis zu zehn – Millimetern innerer Vorhaut verbleibt, spricht man generell von einer „radikalen Zirkumzision“; dies auch als Indikation, sofern die vollständige Abtragung der Vorhaut medizinisch angezeigt ist. Während das Beschnittensein des Gliedes bei den high-Stilen meist durch eine unterschiedliche Farbtönung der Haut ober- und unterhalb der Beschneidungsnaht deutlich zu erkennen ist, ist dies bei den low-Varianten wegen des weitgehenden Fehlens des helleren Innenblattes der Vorhaut nur in einem schmalen Streifen an der Eichelfurche oder auch gar nicht der Fall; der Penis wirkt dann, wenn sich die Narbe direkt hinter der Eichel befindet, als sei er schon immer ohne Vorhaut gewesen. Zudem weicht die Färbung der Beschneidungsnarbe selbst oftmals von der umgebenden Haut ab, was ebenfalls bei den high-Stilen deutlicher hervortritt.
- High & loose; äußeres Vorhautblatt abgetragen, inneres Vorhautblatt in Falten
- Low & loose; inneres Vorhautblatt abgetragen, äußeres Vorhautblatt hier zweilagig umgestülpt
- Low & tight; inneres und äußeres Vorhautblatt abgetragen (Radikale Zirkumzision)
- High & tight; äußeres Vorhautblatt abgetragen, inneres Vorhautblatt teilweise erhalten
Während in den USA vornehmlich high & tight beschnitten wird, sind im europäischen Raum eher die low-Stile verbreitet.
Sofern lediglich ein Teil der Vorhaut entfernt wird, so dass die Eichel im Ruhezustand des Gliedes auch weiterhin teilweise bedeckt ist, kann es zu einer „Narbenphimose“ kommen. Insbesondere, wenn „high&loose“ beschnitten wurde, liegt die Beschneidungsnarbe im Ruhezustand gelegentlich sogar noch auf Höhe der Eichelspitze, oft jedoch zumindest vor dem breiteren Eichelkranz. Sofern dann das Narbengewebe wulstig verwächst oder sich bei der Heilung zusammenzieht, entsteht im Narbenbereich ein zirkulärer Ring, der ähnlich einer Phimose einschnürend auf die Eichel wirkt. Diese Fälle erfordern unweigerlich eine zweite Beschneidung, die dann radikaler ausfallen wird oder muss, damit eine anlagebedingt eventuell erneut entstehende Narbeneinschnürung sich nicht mehr auf die Eichel auswirken kann.[64]
Neben den erwähnten gibt es weitere Formen der Vorhautbeschneidung. Diese sind in der Regel nur regional begrenzt anzutreffen und spielen eine untergeordnete Rolle. Beispielhaft hierfür wäre der Rückenschnitt oder Erweiterungsplastik, wobei die Vorhaut nicht abgetrennt wird, sondern nur teilweise eingeschnitten wird.[65]
→ Präputiumplastik bei Phimose.
Eine medizinische Indikation zur Zirkumzision besteht gemäß einer aktualisierten europäischen Leitlinie[66] bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie Morbus Zoon (= Balanitis plasmacellularis), Lichen sclerosus et atrophicus (chronisch-entzündliche Erkrankung der Vorhaut), bei therapieresistentem Lichen ruber planus, bei rezidivierender Bowenoider Papulose[67] und bei Peniskarzinomen.[5] Außerdem bei narbigen Phimosen, zum Beispiel nach ausgedehnten Balanopostitiden. Bei einer nicht reponierbaren Paraphimose wird keine Zirkumzision, sondern eine dorsale Inzision, empfohlen.[5]
Eine zwischen 1996 und 1999 an der Dermatologischen Klinik und Poliklinik der LMU München durchgeführte Studie zeigte dabei eine deutliche Überlegenheit der Zirkumzision (ggf. mit zusätzlicher konservativer Nachbehandlung) von chronisch entzündlichen Erkrankungen und Präkanzerosen wie Lichen sclerosus et atrophicans, sekundäre Phimose, Balanitis/Balanoposthitis, Condyloma acuminata, Erythroplasie Queirat, Morbus Bowen und Paraphimose gegenüber einer alleinigen konservativen Behandlung.[68]
Eine Besiedelung mit Condylomata acuminata (Feigwarzen) wird dagegen in erster Linie mit dem Laser oder „Vereisung“ mittels tiefstgekühltem, flüssigem Stickstoff behandelt.
Eine Indikation kann in Einzelfällen bei einer nicht narbig- oder durch Lichen sclerosus bedingten Vorhautverengung, der so genannten Phimose, gesehen werden, die jedoch bei Erwachsenen relativ selten auftritt. Bei Säuglingen und Kindern ist eine verengte Vorhaut normal („physiologische Phimose“).[5][69] Nicht vernarbte Phimosen lassen sich auch konservativ (Salbenbehandlung mittels Corticoid) oder mittels Erweiterungsplastik behandeln.[5]
Die Zirkumzision im Kindesalter sollte nicht durchgeführt werden, wenn eine Hypospadie oder eine Penishypoplasie vorliegt, da die Vorhaut für spätere rekonstruktiv-chirurgische Maßnahmen erforderlich werden kann.[70] Bei Jungen oder Männern, die unter einer Blutgerinnungsstörung oder einer Herzerkrankung leiden, ist die OP mit erhöhten Risiken verbunden und sollte nach Möglichkeit vermieden werden.[71] Besonders kritisch wird eine Beschneidung bei einem Hämophilie-Patienten oder einem Thrombozytopenie-Patienten betrachtet. Grundsätzlich sollte kein Junge oder Mann beschnitten werden, der krank, geschwächt oder jünger als einen Tag alt ist. Auch beim Vorliegen von Hauterkrankungen, die eine normale Heilung möglicherweise beeinträchtigen könnten, sollte auf eine Beschneidung verzichtet werden.[72] Weitere Kontraindikationen sind ein buried penis, eine akute lokale Infektion, eine akute Entzündung der Eichel und Nekrosen.[73][74][75]
Jenseits medizinischer Indikationen werden von Beschneidungsbefürwortern einige gesundheitlich-präventive Motive vorgebracht. Folgende physiologische Zusammenhänge werden von ihnen für die Krankheitsprävention als relevant angesehen:
- Nach einer Hypothese wird die Übertragung von Viren erschwert. Die in der Vorhaut selbst in hoher Konzentration sowie nah an der Hautoberfläche vorliegenden Langerhans-Zellen und CD4-Rezeptorzellen erleichtern möglicherweise die Übertragung von Viren beim Geschlechtsakt.[76][77]
Ob und in welchen Fällen die Vorhautentfernung als Routineoperation empfohlen werden sollte, bleibt umstritten. Die der Zirkumzision zugeschriebenen möglichen hygienischen und gesundheitlichen Vorteile einerseits sollten unter Einbeziehung der jeweiligen Grundhäufigkeiten der betrachteten Krankheiten gegen die möglichen Komplikationsrisiken des Eingriffs und alternative Präventionsmöglichkeiten andererseits abgewogen werden.[78] Die Vorhautentfernung ersetzt in keinem Fall eine ausreichende Genitalhygiene und Safer-Sex-Maßnahmen.
Die routinemäßige Beschneidung bei Kindern und Neugeborenen wird von vielen Fachorganisationen als rein kosmetische beziehungsweise kulturelle Angelegenheit betrachtet, gesundheitlich-präventive Argumente werden zurückgewiesen.[79] Bremer Kassenärzte lehnen es ab, solche Beschneidungen auf Kosten der Krankenkassen abzurechnen.[80]
Harnwegsinfekte
Das Risiko für einen Harnwegsinfekt (HWI) bei gesunden Knaben liegt bei ca. 1 %.[81] Ob sich das Risiko nach einer Beschneidung verringert, ist Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Nach einer Cochrane-Metaanalyse von 2012[82] fehlen valide randomisierte kontrollierte Studien, die einen protektiven Effekt belegen.[81] Durch eine frühe ritualisierte Beschneidung kann das Risiko sogar erhöht sein.
Die aktuelle S2k-Leitlinie sieht die Zirkumzision nur dann als sinnvolle prophylaktische Maßnahme, wenn Jungen an einer rezidivierenden HWI leiden und eine höhergradige angeborene Anomalie des harnableitenden Systems aufweisen. In dem Fall sollte eine bestehende Enge der Vorhaut medikamentös oder chirurgisch behandelt werden.[81]
Infektionsrisiko von HIV
Studien deuten darauf hin, dass das HIV-Infektionsrisiko beim ungeschützten, heterosexuellen Geschlechtsverkehr mit HIV-infizierten Partnern für beschnittene Männer geringer sein kann als für unbeschnittene. Die Metaanalyse der Cochrane Collaboration aus dem Jahre 2009 ergab nach medizinisch durchgeführter Zirkumzision eine Reduzierung des relativen Infektionsrisikos für heterosexuelle Männer um bis zu 66 %. Hierfür wurden Daten aus drei großen, randomisierten und kontrollierten Studien, die in Kenia, Uganda und Südafrika zwischen 2002 und 2006 durchgeführt wurden, bewertet. Wie die Autoren betonten, haben die ausgewerteten Untersuchungen nicht die Effekte der Zirkumzision auf die weiblichen Partner von HIV-infizierten Männern eingeschätzt.[83] Eine von der WHO einberufene Expertenrunde empfahl nach Auswertung der Ergebnisse der drei randomisierten, kontrollierten Studien aus Kenia, Uganda und Südafrika sowie zahlreicher Beobachtungsstudien im März 2007 ihren Mitgliedsstaaten in einer Presseerklärung, die Zirkumzision als zusätzliches Mittel in die nationale Anti-Aids-Strategie aufzunehmen.[84][85] Ein Grund für den protektiven Effekt bei heterosexuellen Männern wird dadurch erklärt, dass in der männlichen Vorhaut CD4-positive Langerhans-Zellen und damit primäre Zielzellen von HIV vorhanden sind.[86]
Seit 2007 läuft ein von der WHO initiiertes Programm, in 15 afrikanischen Ländern mit hoher HIV-Prävalenz bei Jungen und Männern in Afrika freiwillige Beschneidungen durchzuführen (voluntary medical male circumcision, VMMC).[87] Weitere Organisationen wie UNAIDS, USAID, PEPFAR, verschiedene NGOs wie das VMMC-Erfahrungsprojekt und UNICEF unterstützen diese Kampagne.[88] Die Beschneidungen sind kostenlos, größtenteils finanziert durch die PEPFAR.[89]
Die Beschneidung zur HIV-Prävention wurde von mehreren Seiten kritisiert, da zum einen durch die Beschneidung das Risiko für eine HIV-Infektion nur sinkt (aber größer Null bleibt) und zum anderen die gefühlte (= subjektive) Sicherheit beschnittene Männer zu einem leichtfertigen Verhalten (Verzicht auf Kondome, Treue oder Enthaltsamkeit) verleiten könnte. Zudem stellt die Beschneidung selbst gerade in Ländern der Dritten Welt ein erhebliches gesundheitliches Risiko dar, da vielerorts sterile Bedingungen beim Beschneiden fehlen und die Beschneidung so selbst zur Quelle einer Infektionskrankheit (oder mehrerer – zum Beispiel HIV) werden kann. Konsens ist, dass das Infektionsrisiko keinesfalls auf null fällt, so dass Beschneidung nicht als Ersatz für Safer-Sex-Verhaltensweisen fungieren kann.[90] Scharf kritisiert werden auch Beschneidungen an nicht einwilligungsfähige Personen wie Kleinkinder bzw. Säuglinge, was die Rechte von Kindern verletzt und häufig ohne Betäubung durchgeführt wird.[88] Da der Erfolg der Beschneidungskampagnen an Erwachsenen gering ist, wurden zusätzlich auch Kinder involviert.
Eine südafrikanische Studie aus dem Jahr 2008 kommt zudem zu dem Fazit, dass Beschneidungen keinen Einfluss auf die Übertragbarkeit von HIV haben; sie stellt damit die WHO-Empfehlung in Frage.[91] Laut Zimbabwe Health Demographic Survey von 2011/2012 sei eine höhere HIV-Infektionsrate unter Beschnittenen zu verzeichnen, welche Blessing Mutede vom National Aids Council auf das falsche Gefühl der Sicherheit und dadurch verursachtes risikoreiches Verhalten zurückführt.[92] Ein USAID-Bericht von 2009 konnte keinen klaren Zusammenhang zwischen männlicher Beschneidung und der Verbreitung von HIV feststellen. Hierzu wurden Daten aus 15 afrikanischen Ländern, Kambodscha, Haiti und Indien ausgewertet. Während in acht Ländern Beschnittene relativ weniger häufig HIV-infiziert waren, wiesen die restlichen zehn Länder unter Beschnittenen eine höhere HIV-Verbreitung auf.[93]
Der Pädiater Robert S. Van Howe und die Familienmedizinerin Michelle R. Storms kritisierten die „Zirkumzisionslösung“ als „verschwenderischen Wahnsinn“, der effektiveren, kostengünstigeren und weniger invasiven Alternativen Ressourcen entziehe. Die Beschneidungsprogramme werden ihrer Ansicht nach wahrscheinlich die Zahl der HIV-Infektionen erhöhen.[94] Brian J. Morris – ein selbsterklärter extremer Beschneidungs-Aktivist[95] – und Mitautoren widersprachen dieser Prognose.[96] Laut Vorstand und Geschäftsführung der Deutschen Aidshilfe sei intensive Aufklärung notwendig, um der Fehlannahme, man sei nach einer Beschneidung geschützt, entgegenzuwirken.[97]
Bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) wird ein protektive Effekt der Beschneidung als wahrscheinlich niedrig angesehen.[86] Und selbst wenn das Risiko für heterosexuelle Männer gesenkt wird, so ist für dieses für deren Partnerinnen nach wie vor unverändert.[86]
Übertragung weiterer Geschlechtskrankheiten
Eine Zirkumzision hat keinen signifikanten Einfluss auf die Inzidenz und Prävalenz sexuell übertragbaren Erkrankungen (STI).[81]
Weiterhin wurde in Untersuchungen ein geringeres Risiko für beschnittene Männer festgestellt, an Ulcus molle zu erkranken.[98] In Bezug auf Syphilis und Herpes-simplex-Viren (HSV) gab es widersprüchliche Studienergebnisse, so dass eine relative Schutzwirkung durch Beschneidung für möglich gehalten wurde. In den Fällen von Gonorrhoe und Chlamydiose wurden keine Anzeichen für eine mögliche Schutzwirkung gefunden.[99]
HPV-Infektionen
Das Zervixkarzinom, auch Gebärmutterhalskrebs genannt, ist weltweit der zweithäufigste bösartige Tumor bei Frauen. Man geht davon aus, dass ein großer Teil der Gebärmutterhalskarzinome von humanen Papillomviren (HPV) verursacht wird. Darüber hinaus verursachen HPV Genitalwarzen (z. B. Feigwarzen), Vaginal-, Penis- und Analkarzinome, Basalzellenkrebs und Rachenkrebs (Oropharynxkarzinom). Zugleich werden die in der Penis-Vorhaut vorkommenden Langerhans-Zellen und CD4-Rezeptorzellen für die Übertragung von Viren beim Geschlechtsakt mitverantwortlich gemacht. Allerdings sind neben der Vorhaut auch der Penisschaft (Corpus penis), die Eichel (Glans penis), der Hodensack (Skrotum) und Urin an der HPV-Übertragung beteiligt.[100]
Die HPV-Prävention bzw. die Prävention von Gebärmutterhalskrebs erfolgt durch die HPV-Impfung.[81] Die Leitlinie sieht betont, dass eine Weitergabe sexuell übertragbarer Krankheiten wie HPV durch eine Beschneidung nicht verhindert wird.
Peniskarzinom
Das Peniskarzinom ist in der westlichen Welt ein seltener Tumor, der bei Männern im fortgeschrittenen Lebensalter (meist über 50 Jahre) auftritt. In Mitteleuropa und in den Vereinigten Staaten lag die Inzidenz in den 1990er Jahren bei 0,9 pro 100.000, in Australien bei 1 pro 250.000.[101][102] Weltweit ist das Karzinom für weniger als 0,5 % der Krebsfälle bei Männern verantwortlich.[103]
Einer systematischen Übersichtsarbeit nebst Metaanalyse aus dem Jahre 2011 zufolge, ist eine fortbestehende Phimose einer der stärksten Risikofaktoren für das Auftreten eines Peniskarzinoms. Die Phimose führt wahrscheinlich zur Smegmaansammlung und wiederholten Entzündungen, welche wiederum das Risiko für Peniskrebs erhöhen. Männer, die in der Kindheit oder im Erwachsenenalter beschnitten wurden, hatten in der Metaanalyse ein wesentlich geringeres Risiko für das invasive Peniskarzinom. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Zirkumzision in der Kindheit oder im Erwachsenenalter vor diesem Karzinom schützt. Eine Zirkumzision eliminiert das Phimoserisiko, den Schutzeffekt führen die Autoren teilweise auf den Effekt der Zirkumzision bezüglich Phimoserisiko zurück.[103]
Die aktuelle S2k-Leitlinie weist ausdrücklich darauf hin, dass nur im Falle solcher medizinischen Indikationen (z. B. auch bei Lichen sclerosus) die Beschneidung indiziert ist – jedoch nicht pauschal als Präventionsmaßnahme im Kindesalter.[81] Statistisch gesehen müsste man über 320.000 Zirkumzisionen mit entsprechenden Komplikationsraten durchführen, um ein Peniskarzinom zu verhindern. Daher empfiehlt das RKI die HPV-Impfung zur Risikoreduktion HPV assoziierter Malignome.
Nach nicht sachgerecht durchgeführter, ritueller Beschneidung in Saudi-Arabien wurde in einigen Fällen die Entwicklung eines Karzinoms ausgehend von der Zirkumzisionsnarbe beobachtet.[104][105]
Hirsuties papillaris penis
Als Hirsuties papillaris penis werden weißliche, hautfarbene oder rötliche warzenartige Bildungen bezeichnet, die am Eichelrand bis hin zum Vorhautbändchen des Penis des Menschen vorkommen. Etwa 10 bis 20 % der männlichen Bevölkerung sind von diesem harmlosen anatomischen Atavismus betroffen. Die Papillen bilden sich im Laufe der geschlechtlichen Entwicklung aus, vorwiegend in der Pubertät. Sie gelten aus medizinischer Sicht als nicht behandlungsbedürftig, können von den Betroffenen jedoch als ästhetisches Problem wahrgenommen werden. Hinzu kommen Befürchtungen, es handele sich womöglich um eine Geschlechtskrankheit und die Partnerin könnte ablehnend reagieren.[106]
Hirsuties papillaris penis wird häufiger bei unbeschnittenen Männern beobachtet. Der diesem Befund zugrundeliegende Mechanismus ist ungeklärt. Als Erklärung könnte die auf dem Eichelrand aufliegende Vorhaut mit einhergehender Smegmabildung infrage kommen. In einer Studie aus dem Jahr 2009 trat Hirsuties papillaris penis bei beschnittenen Männern seltener auf. Auch konnte ein Rückgang der Papillen nach Durchführung der Zirkumzision im späteren Lebensalter beobachtet werden.[107]
Weibliche Präferenz aus weiblicher sowie aus männlicher Sicht
Zur Präferenz von Frauen veröffentlichten Brian Morris et al. 2019 eine systematische Übersichtsarbeit, welche die Ergebnisse von 29 Studien aus den USA, Australien und verschiedenen Ländern Europas und Afrikas auswertete. In der überwiegenden Mehrheit der Studien drückten die teilnehmenden Frauen eine Präferenz für den beschnittenen Penis aus. Die Hauptgründe für diese Präferenz waren Aussehen, Hygiene, reduziertes Infektionsrisiko und Empfinden bei Vaginalverkehr, manueller Stimulation und Fellatio. Frauen können zudem die Entscheidung für eine Beschneidung erheblich beeinflussen, bei Söhnen, Brüdern, anderen männlichen Familienmitgliedern und Freunden. In Studien, in denen die Motive von Müttern für die Beschneidung ihrer Söhne untersucht wurden, wurden Gesundheit, Krankheitsvorbeugung und Hygiene als Hauptgründe genannt.[108]
Bei einer 2005 veröffentlichten Umfrage unter philippinischen Jungen gaben 11 % der Teilnehmer an, dass ein Grund für die Beschneidung darin bestand, dass Frauen gerne mit einem beschnittenen Mann Geschlechtsverkehr haben. In der kenianischen Provinz Nyanza glaubten im Jahr 2005 55 % der unbeschnittenen Männer, dass Frauen Sex mit beschnittenen Männern mehr genießen würden. Diese Überzeugung war stark mit der Präferenz verbunden, beschnitten zu werden. 2003 gab etwa die Hälfte der Männer aus dem Distrikt Westonaria, Südafrika, an, dass Frauen beschnittene Partner bevorzugen.[109]
Soziale Anpassung
Der Wunsch nach Anpassung ist eine wichtige Motivation für die Beschneidung in einem Umfeld, in dem die Mehrheit der Jungen beschnitten ist. Eine Umfrage in Denver (USA) ergab, dass Eltern von Neugeborenen, insbesondere Väter, soziale Gründe als Hauptmotiv für die Entscheidung zur Beschneidung anführten. Zum Beispiel, wollten sie den Sohn nicht anders als die anderen Jungen aussehen lassen. 90 % der beschnittenen Väter wollten ihren Sohn beschneiden lassen, verglichen mit 23 % der nicht beschnittenen Väter. In einer Umfrage auf den Philippinen, wo die Beschneidung typischerweise im Alter von 10 bis 14 Jahren stattfindet, gaben zwei Drittel der Jungen an, sich nur für die Beschneidung entschieden zu haben, „um nicht unbeschnitten zu sein“. 41 % begründeten, die Beschneidung sei „Teil der Tradition“. In einer südkoreanischen Studie befürchteten 61 % der Befragten, dass sie von ihrem sozialen Umfeld verspottet würden, wenn sie sich nicht beschneiden lassen würden.[110]